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Sebastian Bruns, Sarandis Papadopoulos: Conceptualizing Maritime & Naval Strategy. Festschrift for Captain Peter M. Swartz, United States Navy (ret.)

22.02.2024
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Autorenprofil
Prof. Dr. Rainer Lisowski
Baden-Baden, Nomos Verlag 2020

Die Festschrift für Peter M. Swartz bietet einen Überblick über den aktuellen Stand des strategischen maritimen Denkens. Sebastian Bruns beleuchtet in seinem Beitrag die deutsche Maritimstrategie und hebt Restriktionen wie die NATO-Integration und den Investitionsmangel hervor. Unser Rezensent Rainer Lisowski betont, dass das Buch besonders für diejenigen wertvoll sei, die sich für den Entwicklungsprozess maritimer Strategien interessieren. Es eigne sich jedoch weniger für Leserinnen und Leser, die eine ausführliche inhaltliche Diskussion verschiedener Strategien suchen. (nb)


Eine Rezension von Rainer Lisowski

Maritime Strategien erhalten in Deutschland eher wenig Aufmerksamkeit. So erging es beispielsweise den 2020 veröffentlichten „Leitlinien zum Indo-Pazifik“ der Bundesregierung. Während die USA viele Jahre schon über den „Pivot to Asia“ sprachen, nachdachten und die Maritime Strategie hierbei eine wichtige Rolle spielte, folgte Deutschland der gedanklichen Karawane spät und von einer größeren öffentlichen Diskussion über die Indopazifik-Strategie ist auch wenig bekannt. Mangelndes oder verzögertes Nachdenken fängt allein schon beim Begriff an. Wie sollte man die gängigen englischen Termini ins Deutsche übersetzen? Strategie für die Deutsche Marine? Deutsche Maritim-Strategie? Auch historisch betrachtet haben sich die Bundesrepublik und ihre Vorgängerstaaten wenig mit dem Meer befasst. Für eine Exportnation, die wie wenige andere auf offene Seewege angewiesen ist, eigentlich erstaunlich, schließlich werden unsere Exporte außerhalb der EU zu 60 Prozent verschifft[1].

Warum ist das so, warum denken wir in der politischen und politikwissenschaftlichen Diskussion nicht viel darüber nach? „Rule Britannia, Britannia rule the waves“ – für eine Inselnation eine nachvollziehbare Positionierung. Deutschland hat dagegen lediglich Zugang zu „toten“ Meeren im Norden und Osten. Der Ärmelkanal, der Skagerrak, die gerade einmal 290 Kilometer große Lücke zwischen den Shetlands und Norwegen (was einer Distanz von etwa 14 Minuten Flugdauer für moderne Kampfflugzeuge entspricht) – Deutschlands Zugang zu den Weltmeeren war im Kriegs- und Krisenfall immer schon weitgehend verriegelbar, und man hat sich primär als Landmacht verstanden, zumal man geopolitisch immer eher nach Westen (Frankreich), Osten (Russland) und im Mittelalter einmal nach Süden (Italien) geschaut hat. Vermutlich ist es daher auch kein Wunder, dass sich die Inhalte der Indopazifik-Leitlinien eher wie ein Katalog der guten Wünsche lesen („Multilateralismus stärken“, „Klimawandel entgegentreten“), denn wie eine handfeste und nüchterne Analyse unserer Interessen und eine daraus abgeleitete Maritimstrategie.

Die von Sebastian Bruns und Sarandis Papadopoulos herausgegebene Festschrift „Conceptualizing Maritime & Naval Strategy“ versprach insofern einige interessante Einsichten. Dieses Versprechen hält der Band mit seinen knapp zwanzig Beiträgen auch. Allerdings anders, als erwartet. Denn das Buch handelt eher wenig von den Inhalten maritimer Strategien sondern mehr von der Art, wie sie erarbeitet werden. Es liefert insofern einen Blick in den Maschinenraum der Strategieentwicklung und setzt sich nicht so sehr inhaltlich mit den verschiedenen Strategien auseinander.

Geoffrey Till, britischer Marinehistoriker und Professor am King’s College, führt mit einem ersten Aufsatz „The Accidental Dialectic: The Real World and the Making of Maritime Strategy since 1945” (13-32) in den Sammelband ein. Strategien, so Tills Grundthese, entstünden nicht nur geplant am Reißbrett. Sie seien auch Zufällen geschuldet. Sie seien nicht (immer) „camly reflective, rational and linear“, sondern mitunter geprägt durch zufällige und irrationale Kräfte (13 f.). Henry Mintzberg, einer der wichtigsten (wirtschafts-)strategischen Denker unserer Zeit, würde sagen: Strategien sind eben keine Pläne. Jedenfalls nicht nur. Till rät daher, zunächst die Quellen des Einflusses auf maritime Strategien genau zu untersuchen (14 ff.), insbesondere die wechselnden Bedrohungsszenarien und -wahrnehmungen für ein Land, dessen Budgetbeschränkungen, den allgemeinen technologischen Wandel und die strategische Kultur einer Nation. Danach sei es zentral, sich zu den Stakeholdern (wie der Wirtschaftswissenschaftler das nennen würde) Gedanken zu machen. Denjenigen „über der Marine“ (Regierung als Ganzes, einzelne Ministerien, Stabschefs), denjenigen „neben der Marine“ (andere Teilstreitkräfte, andere Länder) und denjenigen „in der Marine“. Tills Überlegungen resultieren in einer kleinen, aber nützlichen Grafik auf Seite 28. Am Beispiel der USA illustriert der Artikel, wie man sich all dies konkret vorzustellen hat.

Dieses grobe Gerüst wird dann in mehreren Artikeln für verschiedene Länder in der einen oder anderen Form mit Abweichungen durchdekliniert. Exemplarisch sei der Fall der deutschen Maritimstrategie vorgestellt: Sebastian Bruns, Wissenschaftler am Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK) und sicher einer der deutschen Experten für Maritime Strategie widmet sich eben dieser in seinem Beitrag „Conceptualizing and Writing German Naval Strategy“ (129-154). Eingangs erläutert er die grundsätzlichen Restriktionen, denen deutsche Marinestrategie unterliegt: Zunächst einmal die starke Einbindung in die NATO-Operationspläne (130) und dann die weitgehende Beschränkung auf Nord- und Ostsee, die erst in jüngerer Zeit ausgeweitet worden sei. Allerdings schreibt er in Abwesenheit der Sowjetflotte von der Ostsee als „überflutete Wiesen“ (133). Dies galt zumindest so lange, wie Russland sich noch nicht vollends zum Antagonisten des Westens entlarvt hatte. Schnell wird eine dritte, selbstverschuldete Restriktion deutlich: Mangelnde Investitionen und zunehmender Verfall der Flotte (133 ff.). Unbewusst dürfte das sogar den meisten Bürgerinnen und Bürgern bekannt sein. Schließlich las man gerade erst wieder, dass Deutschland den internationalen Einsatz gegen die Huthis nur mit einer Fregatte begleiten kann, denn zwei weitere seien aktuell nicht einsatzfähig. „Die Bundeswehr eben“, ist man versucht zu sagen. Trotz der Jahrzehnte alten, mangelnden Ausstattung der deutschen Streitkräfte kommt die Marine seit dem Jahr 2000 auf eine stattliche Anzahl von Operationen, die Bruns in einer übersichtlichen Tabelle darstellt (136). Weiterhin „typisch deutsch“ bleibt es auch im zweiten Abschnitt des Aufsatzes. Hier geht es nun stärker um den Prozess der Entwicklung der deutschen Strategie. Und da spätestens seit Max Weber gilt, dass in Deutschland Verwaltungstätigkeiten schriftliche Tätigkeiten sind, beginnt es mit Papieren. Mit Dokumenten, die bei der Planung zu berücksichtigen sind. Papieren der NATO, der EU, der G-7 und natürlich der Bundesregierung selbst (138 f.). Beschrieben wird auch, welche Arbeitsgruppen es gab, wie viele Personen mitgearbeitet haben und (grob) wie vorgegangen wurde beim Weißbuch der Bundesregierung von 2016. Inhaltlich werden zumindest die Zielsetzungen deutlich, welche mit der Strategie erreicht werden sollen, insbesondere die Verteidigung des Hoheitsgebietes der Bundesrepublik, die Sicherung globaler Kommunikationslinien, Aktivitäten gegen Piraterie und Terrorismus – um nur die wichtigsten zu nennen (142). Da Strategien immer „Ziel-Mittel-Relationen“ sind, wie der Schweizer Militärforscher Albert Stahel schrieb oder auch „the bridge that relates power to purpose“, wie der britische Militärhistoriker Colin Gray meint, vermisst man an dieser Stelle eine klare Zuordnung von Mitteln und Zielen. Eben das, was eine Strategie ausmacht. Wie sollen welche Mittel eingesetzt werden, um definierte Ziele zu erreichen? Allenfalls gestreift wird dieses Thema, wenn es z. B. um den Bau weiterer Schiffe für die Marine geht (146 f.) Ein kurzer Ausblick versucht abschließend die vor uns liegende Zeit und die damit verbundenen strategischen Herausforderungen zu skizzieren. Spätestens mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine wird Russland wieder verstärkt als Bedrohung wahrgenommen und damit bekommt auch die Ostsee wieder mehr Gewicht im strategischen Denken Deutschlands („the Baltic Sea is back on the minds of policy and military planners alike“, 148), wenngleich Russland schon vor dem Angriff auf sein Nachbarland mit Störmaßnahmen in der Ostsee aktiv wurde, etwa der mutwilligen Zerstörung von Unterseekabeln des Vorhabens „Nordbalt“, die die Stromversorgung im Baltikum verbessern soll. Vor allem kritisiert Bruns aber einen mit den Händen greifbaren Mangel: Dem Mangel strategischen Denkens „zur See“. Oder in Bruns‘ Worten: „The Bundeswehr should aggressively drive sound operations research and maritime strategic analysis at its various schools and institutions, from the two universities in Hamburg and Munich, to the General Command and Staff College in Hamburg & its associated think tank” (149).

In ähnlicher Weise lesen sich weitere Artikel des Sammelbandes. Der Fokus des Buches schwankt ein wenig. Einerseits enthält der Band informative Essays über die Planung maritimer Strategien in Ländern wie den USA, Deutschland, Polen oder Indien. Andererseits werden globale maritime Themen aufgegriffen. Manche davon sehr naheliegend, wie etwa geopolitische Konfliktlagen in öl- und gasreichen Regionen wie dem östlichen Mittelmeer. Andere etwas fernliegend anmutend, wie die Frage, welche soft power von Krankenhausschiffen der US-Marine ausgehe. Eine Stärke des Sammelbandes ist es in jedem Fall, verschiedene Nationalitäten versammelt zu haben und das Thema auch aus unterschiedlichen Länderkulturen zu betrachten.

Gewidmet ist die Festschrift Peter M. Swartz, einem US-Marineplaner und ehemaligem, aktiven Kapitän zur See. Swartz hat selbst etwas zurückhaltend publiziert, aber viele Menschen aktiv beeinflusst. Nicht zuletzt, da er selbst im Pentagon in den 1980er-Jahren an Marineplanungen beteiligt war.

Wer sich dafür interessiert, wie genau maritime Strategien entwickelt werden, wird bei diesem Buch fündig. Wer sich eine inhaltliche Diskussion und Reflektion von maritimen Strategien verschiedener Länder wünscht, muss an anderer Stelle suchen.



Anmerkung

[1] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/10/PD22_456_51.html

 

CC-BY-NC-SA
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Weiterführende Links

Center for Maritime Strategy & Security (CMSS)

Die Abteilung Maritime Strategie und Sicherheit am ISPK ist Kontinentaleuropas führendes Kompetenzzentrum für Fragen globaler maritimer Strategie und Sicherheit.

Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK)

 

Externe Veröffentlichungen

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Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK)

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