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Außen- und Sicherheitspolitik

Radikalisierung und Terrorismus

Hinter Terroranschlägen in Afghanistan, Mali, dem Irak oder auch in Paris, Madrid, Berlin und Halle steht ein mannigfaltiges Phänomen politischer Gewalt. Diese Anschläge richten sich beispielsweise gegen Kirchen, Moscheen, Synagogen, Auslandsvertretungen einzelner Staaten oder Verkehrsflugzeuge, Geflüchtete oder politische Gegner. Solche Ereignisse werden daher in der Forschung nach Zielgruppen oder den Mitteln, wie zum Beispiel Sprengstoff, kategorisiert. Radikalisierung und Terrorismus treten dabei aufgrund unterschiedlichster Motivationen zutage – von links- und rechtsextrem, christlich-fundamentalistisch, islamistisch, anarchistisch bis antisemitisch sind in diesem Spektrum viele Ausprägungen vorhanden. Die dem zugrundeliegenden Radikalisierungsprozesse umfassen in der Regel Phasen von Rekrutierung, Sozialisierung, Vernetzung und Mobilisierung bis hin zur verdeckten Orchestrierung von Angriffen.

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Vor diesem Hintergrund ist für Forscher*innen besonders relevant, wie extremistische Gruppierungen mit ihren Anhänger*innen kommunizieren, diese in Netzwerken halten sowie welche sozialen Dynamiken und Erwartungen dabei wirken, auch wenn Einzeltäter innerhalb der Praxis ebenso vorkommen. Extremistische Gruppen arbeiten nicht selten mit Strategien der Neuetikettierung alter Ideologien, mit Diskursen oder religiösen Auslegungen. Etablierte politische Strukturen werden so nicht immer gleich direkt herausgefordert, sondern man nutzt vielfach zunächst innere Widersprüche einer Religion, einer politischen Kultur oder eines gesellschaftlichen Meta-Narrativs, um Begrifflichkeiten für sich neu zu besetzen und damit eigene, radikale Auslegungen für Interessierte anschlussfähig zu machen. Radikalisierung fußt vielfach auf einem Misstrauen gegenüber dem Bestehenden und auf unerfüllten Bedürfnissen. Potenzielle Neumitglieder werden zielgruppenorientiert adressiert, indoktriniert und radikalisiert. Durch die radikale Umdeutung der bestehenden Verhältnisse nach der Fasson der jeweiligen Bewegungen erscheinen oft – auch eigene – politische Ziele plötzlich erreichbar. Alternative Informationsquellen und digitale Kommentarplattformen helfen extremistischen Gruppierungen, gesellschaftliche Diskurse gezielt aufzuheizen und so Anhänger*innen zu mobilisieren. Diese verstehen sich als Verfechter*innen einer ‚wahren‘ Religion, Kultur, Demokratie oder/und eines Staatsverständnisses. Und diese Wahrheit gilt es, aus einem Gefühl von gerechtfertigter Notwehr zu verteidigen. Forschungsarbeiten zur Dauer von Radikalisierungsprozessen untersuchen, welche Rolle beispielsweise verschlüsselte neue Medien, das Darknet oder Content-Sharing-Websites hier spielen.

Andere Forschungsdesigns werten darauf aufbauend Potenziale aus, wie all dem durch Prävention und Deradikalisierungsstrategien begegnet werden kann. Deradikalisierungsansätze betrachten beispielsweise fachübergreifend den verhaltensbezogenen Prozess der Abkehr einer Person von extremistischen Handlungen: Wo es gelingt, den, meist mit Fragen von sozialer Identität einhergehenden, Prozess nachzuvollziehen und umzukehren, durch den ein Mensch gewaltbereit wurde, können Betroffene wieder in die Gesellschaft integriert und vor dem weiteren Abgleiten in die Radikalität und den Terrorismus geschützt werden. Beispiele hierfür sind Programme zur Deradikalisierung, die inzwischen auch auf den Erkenntnissen von Social-Media-Netzwerkanalysen fußen.

Beim Monitoring extremistischer Aktivitäten sind, neben terroristischen Anschlägen im klassischen öffentlichen Raum, auch zunehmend terroristische Gefährdungspotenziale durch Cyberangriffe auf Infrastrukturen mitzudenken – ebenso extremistische Einschüchterung, Bedrohung und Desinformation im Netz wie täuschende Bilder, irreführende Berichte sowie das Verbreiten von privaten Daten politischer Gegner.

In der Extremismusforschung untersucht man daneben mittels der Auswertung von Datensätzen, wie zum Beispiel Extremist*innen kollektives Storytelling betreiben, um neben ihren Anhänger*innen auch weitere Informations- und Demokratieprozesse gezielt zu beeinflussen.

Übergreifend bleibt allen Forschungsansätzen das Ziel, Einblicke in strategische, technische und psychologische Aspekte von Radikalisierung, Extremismus und Terrorismus zu gewinnen. Dies geschieht auch, um Gefährdungspotenziale für die öffentliche Sicherheit weltweit zu identifizieren und zu minimieren.

Rezension / Michael Rohschürmann / 14.12.2023

Siegfried Frech: Terrorismus. Im Fadenkreuz politischer Gewalt

Stuttgart, W. Kohlhammer GmbH 2023
Siegfried Frech bietet einen prägnanten Überblick zum Phänomen Terrorismus anhand bestimmter Ereignisse wie den Attacken von München, New York und Utøya. Dabei werden Medienaspekte, die Typisierung von Terrorgruppen und Ursachen auf verschiedenen Ebenen exemplarisch vorgestellt. Das Buch berichtet auch, dass der Linksterrorismus in Deutschland bis in die 1960er-Jahre dominiert habe, gefolgt v...
Rezension / Armin Pfahl-Traughber / 04.12.2023

Wolfgang Kraushaar: Keine falsche Toleranz! Warum sich die Demokratie stärker als bisher zur Wehr setzen muss

Hamburg, Europäische Verlagsanstalt 2022
Wolfgang Kraushaar fragt angesichts der inner- und außerparlamentarisch erstarkenden radikalen Rechten, wie die parlamentarische Demokratie besser verteidigt und das Konzept der wehrhaften Demokratie erneuert werden könne. Dazu beleuchtet er den deutschen Rechtsextremismus in dessen Kontinuitäten ebenso wie eine sich neuerdings in Teilen radikalisierende gesellschaftliche Mitte und plädiert f...
Rezension / Armin Pfahl-Traughber / 14.11.2023

Stefan Malthaner, Simon Teune (Hrsg.): Eskalation. G20 in Hamburg, Protest und Gewalt

Hamburg, Hamburger Edition 2023
Wer an den G20-Gipfel in Hamburg zurückdenkt, wird sich eher an die gewaltvollen Ausschreitungen im Stadtgebiet erinnern als an die vielfältigen Proteste, die zeitgleich zum politischen Gipfeltreffen der führenden Industrienationen stattfanden. Dieser Sammelband möchte die Entwicklungen der damaligen Eskalation untersuchen: Dabei wird die Verstrickung von Protest und Gewalt ebenso analysiert w...
Rezension / Michael Rohschürmann / 25.10.2023

Evelyn Bokler-Völkel: Die Diktatur des Islamischen Staates und seine normative Grundlage

Baden-Baden, Nomos Verlagsgesellschaft 2023
Evelyn Bokler-Völkel untersucht, auf Basis welcher Traditionen und Narrative der Islamische Staat (IS) seine Diktatur legitimiert. Im Gegensatz zu den großen nihilistisch-säkularistischen Diktaturen des 20. Jahrhunderts handele es sich hierbei um eine dezidiert ideokratische Herrschaftsform, so eine Einordnung der Autorin. Das Resultat sei eine „sehr gute und wichtige Arbeit“ aus politik- u...
Rezension / Wahied Wahdat-Hagh / 14.06.2023

Jannis Jost, Joachim Krause (Hrsg.): Jahrbuch Terrorismus 2019-2021

Stuttgart, Verlag Barbara Budrich 2022
Der Fokus dieses inhaltlich sehr dichten und stringent abgefassten Bandes liege auf rechtsextremistischen Gewalttaten, so Wahied Wahdat-Hagh. Ergänzt werde dies durch Beiträge zu den aktuellen Entwicklungen von islamistischem und linkem Terrorismus. Während globale Radikalisierungsphänomene vor allem mit statistischen Methoden fassbar werden, zeigten Analysen für Europa, dass dort meist Einze...
Rezension / Vincent Wolff / 22.03.2023

Matthias Quent, Christoph Richter, Axel Salheiser: Klimarassismus. Der Kampf der Rechten gegen die ökologische Wende

München, Piper Verlag 2022
Rechtspopulistische und radikal rechte Gruppen, die die Existenz von Rassismus negieren, leugnen häufig auch den menschengemachten Klimawandel. Dies sei kein Zufall, ihnen „gehe es nicht um die Zukunft des Planeten, sondern um ihre Privilegien in einer ungleichen Welt“. Daher seien Kämpfe gegen Klimawandel und Diskriminierung nicht zu trennen. In ihrer Philippika zeigen Matthias Quent, Axel ...
Interview / Jannis Jost, Tanja Thomsen, Kira Frankenthal / 11.12.2022

Kira Frankenthal und Jannis Jost über „Terrorismusforschung. Interdisziplinäres Handbuch für Wissenschaft und Praxis": Terrorismus kann nur durch einen umfassenden Ansatz verstanden werden

Mit „Terrorismusforschung. Interdisziplinäres Handbuch für Wissenschaft und Praxis“ präsentiert das Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK) im dritten Band seiner Studien zur Terrorismusforschung mit über 90 Autor*innen eine Fülle an Wissen, mittels dessen das Phänomen aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln analysiert werden kann. Kira Frankenthal und Janni...
Rezension / Volker Stümke / 31.03.2022

Annika Brockschmidt: Amerikas Gotteskrieger. Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet

Hamburg, Rowohlt Verlag 2021
Annika Brockschmidt porträtiert die Religiöse Rechte in den USA – ein Sammelbecken, das extreme politische Rechte, christliche Evangelikale und wirtschaftsliberale Kräfte umfasse, so Rezensent Volker Stümke. Sie verbinde die Überzeugung von der „White Supremacy“. Deren Protagonist*innen, Organisationen (vom Ku-Klux-Klan bis zur Tea-Party-Bewegung) und Argumente werden vorgestellt. Es ha...
Rezension / Vincent Wolff / 11.03.2022

Asiem El Difraoui: Die Hydra des Dschihadismus. Entstehung, Ausbreitung und Abwehr einer globalen Gefahr. Aus dem Arabischen übersetzt von Günther Orth

Berlin, Suhrkamp Verlag 2021
In „Die Hydra des Dschihadismus“ lege Asiem El Difraoui dar, wie sich die Ideologie des Dschihadismus international verbreitet habe und beleuchte die Entstehungsgeschichte sowie den Werdegang des islamistischen Terrors, so Rezensent Vincent Wolff. Den Ursprung des Dschihadismus sehe der Verfasser in Saudi-Arabien. Der Westen sei für den Erfolg des Dschihadismus mitverantwortlich. Um ihn zu be...
Sammelrezension / Thomas Mirbach / 20.01.2022

Jahrbuch „Extremismus & Demokratie" 2019 und 2020. Bewährtes Forum der vergleichenden Extremismusforschung

Rezensent Thomas Mirbach widmet sich zwei Ausgaben des Jahrbuches „Extremismus & Demokratie". Für die des Jahres 2019 werde angesichts des Inkrafttretens der Weimarer Reichsverfassung ein vergleichender Blick auf die erste und zweite deutsche Demokratie geworfen und gefragt, inwieweit Strukturschwächen der Verfassung zum Zusammenbruch der Republik geführt haben. Bei den Analysen des Bande...

Radikalisierung und Terrorismus


Forschungseinrichtungen und Think Tanks


Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel, Abteilung Terrorismus- und Radikalisierungsforschung

Interdisziplinäre Forschungsprojekte rund um das Phänomen „Terrorismus“ mit Elementen aus Politik- und Sozialwissenschaft sowie aus Psychologie und Kriminologie.

The International Centre for the Study of Radicalisation (ICSR)

Das ICSR trägt mit seiner Datenbank und den damit vorhandenen Big-Data-Kapazitäten entscheidend zum empirischen Verständnis von Terrorismus bei und ermittelt neueste Trends und Strukturen.
 

Stiftung Wissenschaft und Politik, Forschungsgebiet: Nichtstaatliche Gewalt

Die SWP macht hier ihre Forschungsergebnisse zum Phänomen von politischer Gewalt zugänglich.

Middle East Institute, Forschungs-
programm Countering Terrorism & Extremism (MEI)

Das MEI strebt nach einem lokal-begründeten Verständnis von heutigen und künftigen Gefährdungen, damit diesen entgegengewirkt werden kann. 


Weiterführende Links


Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV): Rechtsextremismus

Das BfV stellt Daten und Publikationen zu nationalistischen, antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Gruppierungen vor.