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Der Schutz maritimer kritischer Infrastrukturen und das Konzept der Abschreckung

16.08.2023
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Autorenprofil
Julian Pawlak
Bild: Dominik Rheinheimer, Pixabay.

Julian Pawlak, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politikwissenschaft an der Helmut-Schmidt-Universität, beleuchtet für SIRIUS – Zeitschrift für Strategische Analysen den Schutz maritimer kritischer Infrastrukturen (KRITIS). In der Analyse zu künftig notwendigen Kooperationen von staatlichen wie privaten Akteuren zur Prävention wird eruiert, wie extra-terrestrische Infrastrukturen trotz ihrer Vulnerabilität vor vorsätzlicher Beschädigung, temporärem Ausfall oder dauerhafter Zerstörung durch staatliche Akteure geschützt werden können – und was dies mit dem Konzept der Abschreckung zu tun hat. (tt)


Eine Analyse von Julian Pawlak


1 Einleitung

Die Sabotage der Nord-Stream-Pipelines im September 2022 hat den Schutz kritischer Infrastrukturen (KRITIS) im maritimen Raum auf die Tagesordnung der sicherheitspolitischen Debatte gebracht. Die Angriffe in der zuvor in Anbetracht der Beitrittsverhandlungen Schwedens und Finnlands voreilig als „NATO-Meer“ bezeichneten Ostsee[1] unterstreichen die Vulnerabilität extra-terrestrischer Infrastrukturen. Sie werfen zudem ein Licht auf eine ganze Reihe von Unwägbarkeiten unterhalb der Meeresoberfläche beziehungsweise auf dem Meeresboden. Diesen Sabotageakt begleiteten weitere Ereignisse, die maritime kritische Infrastrukturen betrafen. Dazu gehörten die unbefugten Drohnenüberflügen über norwegische Offshore-Anlagen[2], die Abtrennung von 4,2 km an Unterseedatenkabel vor Spitzbergen[3] sowie die ebenfalls absichtlichen Beschädigungen von Unterseekabeln vor der französischen Mittelmeerküste[4]. In der Bundesrepublik verstärkte die Sabotage am Zugfunksystem der Deutschen Bahn die Aufmerksamkeit für kritische Infrastrukturen[5]. Bei all diesen Vorfällen besteht der Verdacht des Vorsatzes. Daher liegt die breite Aufmerksamkeit für den Schutz maritimer kritischer Infrastrukturen nicht mehr bloß auf Sicherheitsmaßnahmen gegen unabsichtliche oder natürliche Schadensgeschehen (Unfälle, menschliches Versagen, Naturereignisse) bei der Abwägung von wirtschaftlichen Faktoren oder Umweltschutz. Heute gilt es, den Schutz maritimer KRITIS vor vorsätzlicher Beschädigung, temporärem Ausfall oder dauerhafter Zerstörung durch staatliche Akteure sicherzustellen.

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) definiert kritische Infrastrukturen als „Organisationen oder Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden.“[6] Zum Bereich maritimer KRITIS gehören insbesondere die beiden Sektoren Energie sowie Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT).[7] Erhöhte Wachsamkeit ist angebracht beim weltweiten Netz an Unterseedatenkabeln[8], den Pipelines der Energieversorgung,[9] den Offshore-Energieinstallationen sowie den jeweiligen Transfer- und Transportrouten und den entsprechenden Anlande- und Verteilerstationen. Auf militärischer Seite hat man seit einigen Jahren auf die Risiken und Herausforderungen für maritime KRITIS, vor allem auch unterhalb der Wasseroberfläche, hingewiesen, ohne jedoch in der Politik Resonanz zu finden.[10]Häufig bezogen sich diese Warnungen auf entsprechende Fähigkeiten Russlands.[11] Speziell die Aktivitäten der russischen Seestreitkräfte[12] entlang bedeutender Unterseekabel beobachtete man skeptisch. Norwegische Medien konnten unter anderem anhand von AIS-Daten[13] (Automatic Identification System) unregelmäßige Bewegungen russischer Fischerboote im Bereich beschädigter Unterseekabel feststellen.[14] In der strategisch und sicherheitspolitisch orientierten Wissenschaft werden die Risiken für maritime kritische Infrastrukturen häufig unter dem Oberbegriff „hybride Bedrohungen“ subsumiert.[15] Mittlerweile hat man die maritimen Abhängigkeiten, von KRITIS bis zu Lieferketten und Energieversorgung, als weaponized interdependence[16] identifiziert, also als Verwendung von ökonomischen Abhängigkeiten als politische Waffe.[17Eine kürzlich erschienene, für das Europäische Parlament erstellte Analyse gibt einen guten Überblick über die aktuellen Risiken für die Europäische Union.[18]

Es ist davon auszugehen, dass derzeit alle maritimen kritischen Infrastrukturen unzureichend gegen vorsätzliche Beschädigung geschützt sind. Dies gilt insbesondere mit Blick auf staatliche Akteure wie Russland, das derartige Fähigkeiten in den vergangenen 15 Jahren konsequent entwickelt hat. Der Schutz maritimer KRITIS findet auf zwei Ebenen statt: Erstens ist es der Schutz im Sinn von Resilienz und Redundanzen der KRITIS, der nach wie vor im Wesentlichen in der Verantwortung der privatwirtschaftlichen Betreiber liegt. Hier geht es darum, durch passiven Schutz und den Aufbau redundanter Strukturen die möglichen Konsequenzen einzelner Ausfälle so gering wie möglich zu halten. Zweitens ist es der Schutz durch Präsenz und Überwachung und gegebenenfalls durch aktives Eingreifen seitens staatlicher Stellen. Das bedeutet, dass kommerzielle und staatliche Akteuren kooperieren müssen. Denn wegen der geographischen Lage dieser Infrastrukturen, die sich zu weiten Teilen auf dem Meeresboden der Hohen See und damit außerhalb hoheitlicher Territorialgewässer befinden, stellt der Schutz dieser Strukturen eine besondere Herausforderung dar und verlangt komplexe internationale Absprachen. Dieser Artikel zeigt im Rahmen einer Bestandsaufnahme von Risiken und Gegenmaßnahmen auf, dass auch dieser Herausforderung strategisch und im internationalen Verbund mit dem Konzept der Abschreckung zu begegnen ist.

 

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Anmerkungen

 

[1] Julian Pawlak: „No, Don’t Call the Baltic a ‚NATO Lake‘“, RUSI Commentary, 5.9.2022.
[2] Fears Grow as More Drones Appear above Norway’s Offshore Facilities, Euronews, 23.10.2022.
[3] Atle Staalesen: ‚Human Activity‘ behind Svalbard Cable Disruption. The Independent Barents Observer, 11.2.2022.
[4] Chris King: Serious Incident Involving CUT Underwater Cables in South of France Affects Internet Worldwide. Euro Weekly News, 23.10.2022.
[5]  Nach Sabotage – Bahnverkehr im Raum Norddeutschland normali siert sich weiter. Pressemitteilung der Deutschen Bahn, 8.10.2022; https:// www.deutschebahn.com/de/presse/pressestart_zentrales_uebersicht/ Nach-Sabotage-Bahnverkehr-im-Raum-Norddeutschland-normalisiert sich-weiter-8960922.
[6] Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (o.  J.): Was sind Kritische Infrastrukturen und warum sind sie so wichtig?; https://www.bbk.bund.de/DE/Themen/Kritische-Infrastrukturen/ kritische-infrastrukturen_node.html.
[7] Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (o.  J.): Sektoren und Branchen KRITIS. https://www.bbk.bund.de/DE/Themen/ Kritische-Infrastrukturen/Sektoren-Branchen/sektoren-branchen_ node.html.
[8] Eine Übersicht über das globale Netz an Unterseekabeln bietet https://www.submarinecablemap.com/.
[9] Hier insbesondere die Gasinfrastruktur inkl. Flüssiggas (LNG), einsehbar unter https://globalenergymonitor.org/projects/global-gasinfrastructure-tracker/tracker/
[10] Franz-Stefan Gady: Russian Submarine Activity at Highest Level Since Cold War. The Diplomat, 5.2.2016; siehe auch die thematische Aufsatzsammlung des Center for International Maritime Security (CIMSEC) zu „Seabed Warfare“: https://cimsec.org/seabed-warfare-week/.
[11] H. I. Sutton: Russian Spy Ship Yantar Loitering Near Trans-Atlantic Internet Cables, Naval News, 19.8.2021.
[12] Michael Birnbaum: Russian Submarines Are Prowling around Vital Undersea Cables. It’s Making NATO Nervous, Washington Post, 22.12.2017.
[13] Das Automatic Identification System (AIS) ist ein System zum Austausch von u.  a. Navigationsdaten im Schiffsverkehr.
[14] Benjamin Fredriksen/Beth Mørch Pettersen/Gyda Katrine Hesla/ Inghild Eriksen/Håvard Gulldahl: Russiske trålere krysset begge kablene før forbindelsen forsvant, Norsk rikskringkasting (NRK), 26.6.2022; https://www.nrk.no/nordland/xl/russiske-tralere-krysset-kabler-ivesteralen-og-svalbard-for-brudd-1.16007084.
[15] Murphy/Hoffmann/Schaub 2016.
[16] Farrell/Newman 2019.
[17] Siehe dazu die Konferenz des interdisziplinären Forschungsschwerpunkts Maritime Sicherheit (iFMS) an der Helmut-Schmidt-Universität/ Universität der Bundeswehr Hamburg zum Thema „Maritime Sicherheit zwischen Weaponized Interdependence und Geo-Economics“ unter https://www.hsu-hh.de/ifms/konferenzen/.
[18] Bueger/Liebetrau/Franken 2022.

sirius band 7 heft 2 2023 1

Der Schutz maritimer kritischer Infrastrukturen und das Konzept der Abschreckung

SIRIUS – Zeitschrift für Strategische Analysen 

Band 7 Heft. 2-2023, Seiten 160-166, https://doi.org/10.1515/sirius-2023-2005

 

Die Erstveröffentlichung des Textes erfolgte am 7. Juni 2023.

 

Die Zeitschrift SIRIUS wird herausgegeben durch die Stiftung Wissenschaft und Demokratie (SW&D), ebenso ermöglicht die Stiftung ab dem Jahrgang 2022 die digitale Veröffentlichung aller Artikel in Open Access unter der Lizenz CC­BY NC ND. Die SW&D ist eine wissenschaftsfördernde Stiftung, die sich in ihrer operativen Tätigkeit als Herausgeberin von SIRIUS und mit ihrem Online­Portal für Politikwissenschaft insbesondere um die Kommunikation politikwissenschaftlicher Forschungsergebnisse bemüht. Darüber hinaus unterhält sie eine eigene Forschungseinrichtung, das Institut für Parlamentarismusforschung in Berlin, und fördert das Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel. Band 7 der Zeitschrift SIRIUS wird während des 30-jährigen Jubiläums der SW&D veröffentlicht. Die SW&D verfolgt mit ihren Einrichtungen und Förderprojekten das Ziel, insbesondere die Politikwissenschaft bei der Lösung praktischer und normativer Probleme der Demokratie zu unterstützen. 

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Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 4.0 International Lizenz.

  

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Externe Veröffentlichungen

Gunnar Krüger / 17.08.2023

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Julian Pawlak / 01.01.2023

Zur Sache BW

 

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