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Reinhard Mehring: Carl Schmitt. Aufstieg und Fall

06.07.2023
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Autorenprofil
Maximilian Raker, M.A.
München, C.H. Beck (2. aktualisierte Auflage) 2022

Reinhard Mehring bietet mit seiner aktualisierten Biografie Einblicke in das Denken und Wirken des umstrittenen Staats- und Völkerrechtlers. Dabei geht es auch um „die beträchtliche Begriffsarbeit“, die jener im Spätwerk unter anderem mit der Theorie des Partisanen vorlegte, und um den Austausch mit Schmitts akademischen Schülern in den 1950er-Jahren. Dabei gelinge Mehring ohne übereilte Urteile eine umfassende Illustration des „Kronjuristen“ des Dritten Reichs, die Schmitts Problematik nie relativiert, so unser Rezensent Maximilian Raker. Er spricht daher „eine deutliche Empfehlung“ zur Lektüre aus. (tt)


Eine Rezension von Maximilian Raker

Eine fesselnde Reise durch das Leben und Denken von Carl Schmitt – so könnte man diese Rezension der nun in zweiter und aktualisierter Auflage erschienen Biografie von Reinhard Mehring aus dem Jahr 2009 betiteln. Reinhard Mehrings "Carl Schmitt. Aufstieg und Fall" ist zweifellos eine der umfangreichsten und detailliertesten Studien über das Leben, die Historie sowie die Ideen und Reflexionen von Carl Schmitt. Mit einer beeindruckenden Gründlichkeit und Genauigkeit zeichnet Mehring den Aufstieg und Fall dieses kontroversen deutschen Juristen und politischen Denkers nach. Schmitt starb 1985 im Alter von 96 Jahren und „ist als Autor über 70 Jahre fassbar“ (15). Schmitts Nachlass ist auch neben den Veröffentlichungen denkbar immens und so stützt Mehring seine Biografie hauptsächlich auf Tagebücher und Briefwechsel aus eben diesem (ebenda).

Die Monografie bietet darüber hinaus eine tiefgründige Analyse von Schmitts Werken, seiner politischen Theorien und der historischen Kontexte, die seine Denkweise geprägt haben. Mehring nimmt sich die Zeit, Schmitts Ideen in all ihren Facetten zu untersuchen und sie mit den politischen Ereignissen und Strömungen seiner Zeit in Beziehung zu setzen. Dabei zeigt er auf, wie Schmitts Denken sowohl von seiner persönlichen Entwicklung als auch von den politischen und historischen Umständen geformt wurde.
Mehring legt großen Wert auf eine ausgewogene Darstellung von Schmitts Leben und Werk. Er scheut sich nicht, auch kritische Aspekte von Schmitts Denken zu beleuchten und die Kontroversen um dessen Person anzusprechen. Gleichzeitig verfällt er nicht in vorschnelle Urteile, sondern bemüht sich um eine umfassende Betrachtung der komplexen Persönlichkeit Schmitts. Im Nachwort zur vorliegenden Neuauflage von 2022 schreibt Mehring: „Das Buch ist eine Biographie; Schmitts Schriften werden als Spiegel des Lebens, normative Orientierungssuche und Protokolle der Lage gelesen“ (588). Ganz genau so ist das Buch aufgebaut.

Der Schreibstil von Mehring ist ansprechend und gut lesbar, obwohl das Thema anspruchsvoll ist: Die Vermittlung zwischen Biografie, Werk und historischem Kontext ist überaus komplex, wenn man bedenkt, dass Schmitts Persönlichkeit schillernd ist (Mehring kreiert zu Anfang das Bild von Carl Schmitt als einem weißen Raben), sein Denken zwischen klarer Systematik und mystischem Aphorismus changiert und all dies in den persönlichen und historischen Kontext des 20. Jahrhunderts eingebettet ist. Mehring gelingt es, die Zusammenhänge präzise und klar darzustellen, ohne dabei an Tiefe oder Substanz zu verlieren. Im Gegenteil: Mehring stellt das Leben und Denken Schmitts akkurat heraus. Die Biografie eignet sich demzufolge sowohl für ein Fachpublikum als auch für interessierte Leser*innen, die sich mit politischer Theorie und Geschichte auseinandersetzen möchten.

Besonders bemerkenswert ist die Art und Weise, in der Mehring historische Ereignisse, politische Strömungen und Schmitts Denken miteinander verwebt. Er zeigt auf, wie Schmitts Werke und Ideen in verschiedenen Phasen seines Schaffens auf die politische Landschaft reagierten und diese mitgestalteten. Dabei gelingt es ihm, die komplexen Begriffskompositionen Schmitts verständlich zu erklären und ihre Bedeutung für die damalige Zeit (sowie bis heute) herauszuarbeiten: angefangen bei literarischen Kulturreflexionen im Zusammenhang mit Alfred Däubler (51 ff.), über Schmitts Dissertation und folgenden Schriften (beispielsweise die Verfassungslehre), die eher in der Jurisprudenz zu verorten sind, bis hin zu politiktheoretischen Reflexionen wie dem Begriff des Politischen, die ihm allesamt den „Aufstieg zum ‘Kronjuristen‘ (322) des Nationalsozialismusermöglichten. Mehring weist auf den Opportunismus Schmitts hin:

„Schmitts Option für den Nationalsozialismus geht ein Verlust an Alternativen voraus. Die Habilitationsschrift Wert des Staates führte Staat, Kirche und den Einzelnen als mögliche Orientierungsposten auf. Die romantische Subjektivität schob Schmitt beiseite. Religiosität und Kirche baute er dann als Alternativen auf, um sie im katholischen Milieu seiner Bonner Jahre bald wieder zu relativieren und zu verabschieden. In den Berliner Jahren bis 1933 trat die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft in den Vordergrund. […] In der Alternative zwischen dem Staat als ‘Selbstorganisation der Gesellschaft‘ und einem ‘qualitativ‘ ‘starken Staat‘ optierte er dann für Leviathan oder Behemoth.“ (312)

Schmitt entschied sich für den Leviathan. Das hätte er nicht tun müssen: „Er hätte im Nationalsozialismus als renommierter konservativer Professor relativ unbehelligt leben können“ (309). Außerordentlich bemerkenswert ist daher die biografische Abstrahierung der Motive und Gründe (313 f.). „Die antisemitische Sinngebung“ (364) folgt. Die Fallhöhe steigt.

Nach 1945 fällt Schmitt tief. Die Versuche einer erneuten Etablierung seines Denkens sind persönlich von Orientierungssuche und inhaltlich von kulturkritischen Literaturinterpretationen geprägt: „Seine Shakespeare-Studien sind faktisch das Hauptwerk der fünfziger Jahre“ (509). Allerdings strande Schmitt wieder beim Leviathan statt bei Hamlet: Er schreibt Land und Meer und zieht eine Arbeit über den state-Begriff bei Shakespeare in Betracht (ebenda).

Schließlich bleibt seine Wirkung auf seine bundesrepublikanischen Schüler sein letzter aufblitzender Stern, den er seiner Theorie des Partisanen verdankt: „Ohne diese Theorie verdiente Schmitts bundesrepublikanisches Spätwerk insgesamt kaum Beachtung. Ohne die letzte Generation akademischer Schüler würde man den alten Schmitt kaum noch als politischen Denker wahrnehmen“ (513). Bis heute fällt es schwer, die Theorie des Partisanen in eine kohärente Schlussfolgerung seines Begriff[s] des Politischen zu bringen und überhaupt Schmitts Schriften der Nachkriegsjahre zu behandeln. Zu groß ist das Stigma des antisemitischen Kronjuristen und zu sehr scheinen Person und Werk zusammenzuhängen. Doch statt kategorischer Abneigung, die in Anbetracht der Person nachvollziehbar ist, bleibt hinsichtlich der beträchtlichen Begriffsarbeit Schmitts, die in der Theorie des Partisanen und folgenden Schriften erneut deutlich wird, Differenzierung gefragt. Mit Reinhard Mehrings Biografie über Carl Schmitt steht diese parat. Sie sollte gelesen werden.

"Carl Schmitt. Aufstieg und Fall" ist zweifellos ein herausragendes Werk der Forschung. Reinhard Mehring hat eine äußerst umfassende Biografie vorgelegt, die nicht nur Einblicke in das Leben, die Ideen und die Abgründe einer einflussreichen Persönlichkeit bietet, sondern auch ein tieferes Verständnis für Politische Theorie und Geschichte vermittelt. Das Buch ist eine deutliche Empfehlung für jeden, der sich mit Schmitt, politischer Philosophie oder der politischen Entwicklung Deutschlands im 20. Jahrhundert auseinandersetzt.

 

CC-BY-NC-SA
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