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Lea Mara Eßer: Vom Schweigen des Guten. Hannah Arendts Theorie der Menschlichkeit

08.02.2024
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Autorenprofil
Dr. Bruno Heidlberger
Bielefeld, transcript 2023

Die Frankfurter Sozialphilosophin Lea Mara Eßer befasst sich in ihrem Buch mit der Frage nach dem „Guten“ in der Philosophie Hannah Arendts in Bezug auf ihren Begriff der Menschlichkeit. Unter Rückgriff auf Arendts Konzept der Pluralität wendet sie sich dabei gegen den modernen Individualismus und stellt ihm ein Konzept des Guten entgegen, das nur „zwischen“ den Menschen entstehen könne. In seiner Rezension hebt Bruno Heidlberger die Leistung Eßers hervor, insbesondere die Aktualität Arendts ein weiteres Mal unter Beweis gestellt zu haben. (jm)


Eine Rezension von Bruno Heidlberger

Im Mittelpunkt des vorliegenden Buches, steht die seit der Antike diskutiere Frage nach dem Guten. Für die Sozialphilosophin Lea Mara Eßer ist es „vielleicht die Frage unserer Zeit“ (10). Die Autorin zeigt mit Hannah Arendt, dass das Gute heute neu gedacht werden muss, als ein „Denken des Guten, das nicht den Halt eines Geländers sucht“ (10), das nur zwischen Menschen möglich ist und der Pluralität bedarf.

Eßer beginnt ihr erstes Kapitel Eine Annäherung, in dem sie die Problemstellung und den Aufbau ihres Buches einführt, mit einem Arendt-Zitat, wonach das Böse niemals radikal sei. „Tief aber, und radikal sei immer nur das Gute“ (9). Dies schreibt Arendt an Gershom Scholem, während sie 1963 in Jerusalem den Prozess gegen Adolf Eichmann verfolgt. Es sei dieser Moment, bemerkt Eßer, in dem für Arendt „die Frage nach dem Guten als neue den Raum“ betreten habe (10). Arendts Auffassung des Guten breche mit den bisherigen Antworten, die wir seit der griechischen Antike kennen. Arendts Denken des Guten zeige „dieses als eines, das niemals unter einem Begriff des Guten zusammengefasst und festgesetzt werden“ könne und „das gerade in der vielstimmigen und unabgeschlossenen Frage danach“ bestehe, „was dieses Gute sei“ (11). Arendt stelle der Individualisierung seit der Neuzeit, die mit einer Schwächung sozialer Bande einherging, den Topos der Pluralität und den Gemeinsinn entgegen.

Eßer folgt Arendts Kritik an der am Fortschritts- und Nützlichkeitsdenken orientierten Moderne. Anders als für Marx ist für Arendt „der Wachstumsprozeß gesellschaftlichen Reichtums [...], der dem Lebensprozess“ entspringe, überhaupt nur möglich, „wenn die Welt und die Weltlichkeit des Menschen ihm zum Opfer gebracht werden“ (VA 363). Arbeit sei grundsätzlich „weltlos“ und nicht imstande, eine Wirklichkeit zwischen den Menschen zu schaffen. Arendt sei aber „keinesfalls eine Gegnerin des Glaubens an den Fortschritt “. Ihre Philosophie strebe „ganz im Gegenteil gerade immer dem unabsehbaren, zukünftigen Neuanfang zu, einem Denken, das keiner Geländer“ bedürfe (23).

Nach Eßer sind die Fragen, die Arendt im 20. Jahrhundert stellte, nach wie vor aktuell. Das spezifisch moderne Nützlichkeits- und Prozessdenken zeige sich heute auch durch eine weitgehend unhinterfragte „Selbstverständlichkeit unseres politischen Systems: Eine Politik der freien, sich stetig verbessernden, heißt wachsenden Märkte, scheint alternativlos geworden zu sein“ (23). Für Arendt bereiten „Prozessdenken wie Kategorisierungswahn dem Totalitarismus den Weg, indem sie eine Hingabe an das Selbstverständliche, das Kausale und Berechenbare förderten, die letztlich selbst das Totale ermöglichten“. Dieses Prozessdenken zeige sich heute auch in Diskussionen, „jeden Dissens gleich zu einem Antagonismus zu erklären“. (24)

Das zweite Kapitel Einleitende Worte kann als vertiefte Hinführung zur Frage nach dem Guten gelesen werden. Begrifflich gesehen ist das Gute für die Autorin weder eine Idee im platonischen noch eine Substanz im aristotelischen Sinne. Daher spricht Eßer mit Arendt auch nicht vom Wesen des Menschen. Vielmehr befreit sie die Frage nach dem Einzelmenschen aus der Abstraktion, aus dem antiken, theologischen und anthropologischen Korsett des Begriffs Mensch. Vor diesem Hintergrund stellt Eßer immer wieder Bezüge zu aktuellen Problemen mit Blick auf die mit dem modernen Begriff des Menschen verbundene Form von Tätigkeit her: Heute werde die machtvolle Entwicklung der Technik als scheinbar unausweichlich, als das Gute verstanden, dem man sich füge.

Starres und schematisches Denken seien Arendt jedoch fremd gewesen. Ihre Denkwege, meint Eßer, zeichneten sich dadurch aus, dass sie bestehende Begriffe immer wieder neu in Frage stelle. So etwa, wenn sie das Politische vom Sozialen und das Herstellen vom Handeln, unterscheide (31). Das Böse hingegen zeichne sich durch bereits beantwortetes Fragen aus, es bewege sich innerhalb von „Klischees und Wiederholungen“, es sei so „das ewig Alte und Unveränderbare“, das nichts mehr wolle, sondern „das nur noch geschehen“ (31f.) lasse. Für Arendt sei das Böse niemals „Resultat des bösen Willens“, das Unheil komme „aus der Verflachung“ (Arendt 2002: 623). Heute sei es die „Vermassung“, der Konformismus sowie die „Aus- und Zurichtung auf das eine Gleis des Selbstverständlichen“, (32) die das Böse hervorbringe.

In den folgenden sechs Kapiteln will sich die Autorin der Frage des Guten sowohl über Hannah Arendt als auch über Walter Benjamin nähern. Für beide sei das Gute letztlich „einzig denkbar in einem Zwischen“, das Eßer „auf verschiedenen Wegen zu umkreisen“ versucht (32). Zunächst geht sie aber der Frage nach, was Arendt genau unter den Begriffen „das Böse“ bzw. dem „radikal Bösen“ versteht und wie es sich heute zeigt. Das Böse, „dem wir uns heute gegenübersehen“, habe „ein neues Gesicht“. Es sei dem Menschen ganz äußerlich, es wachse „ohne Grund und ohne Ziel“: Es sei die Gleichgültigkeit (37) in Gestalt der Bequemlichkeit der schweigenden Mehrheit gegenüber den Belangen der Gesellschaft.

Das Gute hingegen, verstanden „als Tat nach allgemeinen Gesetzen“, laufe immer Gefahr, beim Abgleiten ins Absolute in sein Gegenteil umzuschlagen. In diesem Sinne könne Arendt in Über die Revolution sagen, „daß das absolut Gute im Zusammenleben der Menschen sich als kaum weniger gefährlich erweist als das absolut Böse“ (71), denn jedes „Absolute […] muß ein Unheil werden“ (Arendt 2013: 104, zit. nach 107). Marxismus, Sozialismus, Kommunismus, Nationalsozialismus, Aufklärung im hegelschen Sinne eines ungebrochenen Fortschrittsglaubens oder ähnliche Ismen erweisen sich demnach allesamt als „absolut Böse“. Arendt zufolge könne das Gute „nicht herauskristallisiert und dann wie ein Dogma blind befolgt werden“. Es müsse „von jedem Menschen, der denkt, neu ergründet und besprochen werden, denn sobald es zur Selbstverständlichkeit“ versteinere, verliere „es dasjenige, das es zum Guten und so zum Menschlichen – dem immer Neuen“ mache. So sei jedes Fragen nach dem Guten, in den Worten Arendts, ein „Wagnis“, das einzig möglich sei im „Vertrauen auf das Menschliche aller Menschen“ (Arendt 1964a: 72, zit. nach 71).

Im vierten, fünften und sechsten Kapitel wendet sich die Autorin drei „Weisen des Sprechens“ (91) zu, „dem Denken, dem Urteilen und dem Erzählen als Erscheinungen des Guten“ (33). Im vierten Kapitel will die Autorin zeigen, dass der Mensch nur dann denken könne, wenn er erkennt, dass er und alle anderen Menschen einzigartig ist. Nur so sei ein “Denken ohne Geländer“ möglich, das wirklich fragt und aufs Neue ansetzt (92). Was wir heute unter Denken verstünden, scheine dagegen von ganz anderer Natur. Wer denkt, „ist lösungsorientiert, kalkulierend, entschlossen [etwas] zum Abschluss zu bringen“ (95). Es handele „sich nicht um das Bedenken einer Frage, sondern um das Gezwungensein zu Lösung und Abschluss“. „Wie wenig selbstverständlich diese Deutung“ sei, betont die Autorin, zeige „sich darin, dass Arendts Trennung von sozialen und politischen Fragen – als einzige Idee neben derjenigen der Banalität des Bösen – auf allergrößte Abwehr gestoßen“ sei: Nach Arendt entspricht die Verschränkung von „Politischem“ und „Sozialem“ einer Kolonisierung der Politik durch die Gesellschaft. Was wir heute Gesellschaft nennen, sei nichts anderes als der Haushalt im Großen – Arendt fordert eine deutliche Trennung zwischen dem privaten Haushalt als der Sphäre der Lebensnotwendigkeiten und dem Öffentlichen als der Sphäre politischer Freiheit. Diese Auffassung sei „bis heute fast ausnahmslos abgelehnt“ worden (96).

Eßer folgt in ihren Ausführungen dieser Kritik, wie sie etwa von Jürgen Habermas (der sie jedoch später zurücknahm, vgl. Habermas 1981: 409) oder Seyla Benhabib vertreten wird, nicht. (Einer Kritik, die auch von Autor:innen wie von Dolf Sternberger (1976) Antonia Grunenberg (2005), Maike Weißpflug (2019) oder Rahel Jaeggi (2007), nicht geteilt wird.) Was Arendt in ihren Augen feststelle, sei der Umstand, dass die Arbeit die Menschen daran hindert, „als Menschen in Erscheinung“ zu treten; dass es noch etwas anderes gibt als das „bloße Schwingen zwischen Arbeit und Konsum “ (98) und die Fokussierung auf das Biologische. Diesen scheinbar natürlich gegebenen Umstand in Frage zu stellen, werde von Arendts Kritikern „als idealistisch und realitätsfern abgetan“ (99). So scheint der Autorin folgerichtig, Arendt „auch darin beizupflichten, [...] die Arbeit“, die Menschen daran hindere, als freie „die politische Bühne“ zu betreten, „so weit als möglich zu begrenzen“ (99). Hierzu gebe es zahlreiche Mittel, wie Arbeitszeitbegrenzung, Mindestlöhne oder das bedingungslose Grundeinkommen (99). Gleichheit gelte „Arendt als grundlegende Voraussetzung für jedes Zusammensein unter Menschen“ (107). Die soziale Frage sei nach dem politischen Verständnis von Arendt insofern eine grundlegende Bedingung für die politische Emanzipation und für eine gerechte und gleichberechtigte Gesellschaft.

Im fünften Kapitel versucht die Autorin sich einer der zentralsten Fragen Arendts, ihrem Verständnis des Urteils, zu nähern. Urteilen heißt „in ihrem Sinne weder, eine eigene, abgeschlossene Meinung zu präsentieren“, noch „diejenige eines anderen Sprechenden einfachhin zu übernehmen und die eigene Identität aufzugeben; „weder, sich in einen anderen Menschen hineinzufühlen“, noch „aus den Meinungen Anderer einen Wert zu errechnen“. Urteilen bedeute, „als ich selbst einen Standort einzunehmen, der nicht der meinige ist“ (151) und mir nun von diesem Standort aus eine eigene Meinung zu bilden. „Dass es hier um Meinungen“ gehe, bemerkt Eßer, die „ausgetauscht werden sollen, muss zunächst stutzig machen“, da Meinungen als Basis politischer Urteile zunächst wenig belastbar erscheinen. Meinungen hielten sich nicht zwingend an rationale Argumentationen oder die Vernunft. Arendt gehe es gerade um das Gegenteil: um „eine Ermächtigung der einzelnen Stimme, die unter keine allgemeine Regel zu bringen“ sei (151f.). Das Urteil betreffe das Besondere in seiner Besonderheit. Reflektierendes Urteilen bedürfe der Öffentlichkeit. Urteilen sei immer autonomes Urteilen innerhalb einer Gemeinschaft (153).

Da Arendt Kants transzendentales a priori ablehnt, gibt sie den Anspruch auf Universalität von Urteilen auf. Aus diesem Grund orientiere sich Arendt an Kants Geschmacksurteil (160), dem Herzstück ihrer Philosophie. Über Kants Kritik der Urteilskraft sage Arendt, diese sei “die einzige seiner großen Schriften, in der sein Ausgangspunkt die Welt und die Sinne und Fähigkeiten sind, welche die Menschen im Plural zu geeigneten Bewohnern dieser Welt machen“ (Arendt 1964b, zit. nach 160). Kant hätte Arendt widersprochen. Diese Umdeutung Kants hat auch in der Rezeption Arendts massiven Widerspruch hervorgerufen. Ähnlich wie Jürgen Habermas meine auch Seyla Benhabib hier eine “normative Lücke“ in Arendts Denken zu entdecken (Benhabib 1998: 302f.). Fehlt bei Arendt tatsächlich die normative Dimension des Politischen? Der Autorin zufolge nicht: Arendt gehe es – „ebenso wie in der oben geführten Diskussion um die Trennung sozialer und politischer Fragen – nicht darum, verallgemeinerungsfähige Urteile auszuschließen, sondern darum, sie nicht für die einzig mögliche oder einzig entscheidende Form zu halten“ (162). Als Beispiel nennt sie das positive Recht in Form staatlicher Gesetze. Diese staatlichen Gesetze sollten jedoch als auf gemeinsamen Urteilen basierend und somit als wieder veränderbar verstanden werden.

In ihrem letzten Kapitel „‘Eine Unbedingtheit des Sprechens.‘ Auf-Schlussworte“, fasst die Autorin die Ergebnisse ihrer differenzierten, gedanklich sehr dichten und nicht immer leicht zu lesenden Studie über das Schweigen des Guten zusammen. Eßer betont, dass das Gute eng mit der Sprache verbunden sei: „Im Sprechen begegnen wir uns selbst und den Anderen und werden so erst Menschen“ (303). Selbstverständlichkeiten und Determinismus seien gefährlich, da sie die Vielfalt und Freiheit bedrohten. Nach Arendt hielten Menschen an einem deterministischen Denken fest, weil sie Angst hätten: „Angst davor, Angst zu haben und […] Angst vor der Freiheit“, wie Arendt formulierte (Arendt 2006: 122 , zit. nach 304). Diese Angst, so Eßer, sei heute noch gewachsen.
In Arendts Denken „einer absoluten Verschiedenheit“ liege der „Bruch mit allem Verallgemeinernden, Unhinterfragbaren – mit allen Ismen“ (308). Eine Gesellschaft dürfe niemals die absolute Verschiedenheit ihrer Mitglieder übersehen und sich keiner Gruppierung unterordnen, die die Vielen unter einem Namen zusammenfasse (308). Aus diesem Grund sei, wie die Autorin ausdrücklich betont, Arendts umstrittene „Trennung von sozialen und politischen Fragen“, heute besonders aktuell: „Nicht, um wichtige Fragen der Gerechtigkeit auszuschließen oder für unwichtig zu erklären, sondern um unsere Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass das Menschliche sich in diesen Notwendigkeiten nicht erschöpft, dass unser aller Gemeinsames nicht nur darin liegt, dass wir den Zwängen des Lebens unterworfen sind, darin, dass wir Überleben wollen, sondern dass es auch ein Leben gibt, nach dem es zu fragen“ lohne (308). Arendts Frage nach dem Guten und Menschlichen ziele Eßer zufolge darauf ab, daran zu erinnern, dass es sich um eine offene Frage handele, die „nicht beantwortet und nicht abschließend beantwortbar“ sei (309). Es existiere nur im gegenwärtigen Moment und könne nicht auf die Vergangenheit oder Zukunft übertragen werden. „Das Gute als der Anfang“, der in ihm liege, so Eßer, bedeute, „sich und die Anderen und auch die Fragen selbst als absolut Verschiedene zu erkennen. Das Gute ist das Offene, es gehorcht keiner Regel, es ist immer nur Jetzt“ (310f.).

Darin liegt die Aktualität von Arendts Denken: Sie versucht in ihren Schriften eine andere Vorstellung vom guten Leben zu entwickeln, in der nicht Arbeit und Konsum, sondern Freiheit und die Sorge um die Welt im Mittelpunkt des Handelns steht. Ein Leben, das nur zwischen Menschen möglich ist und der Pluralität bedarf. Es ist die Frage unserer Zeit.

Der Traditionsbruch, den der Totalitarismus hinterlassen hat, zeigt uns nach Arendt, dass jede Frage auf Pluralität angewiesen ist: Nicht in der Vereinzelung ist das Gute realisierbar, sondern nur im Gespräch und im gesellschaftlichen Dialog. Erst, wenn Pluralität lebendig gehalten wird, kann eine gemeinsame Welt entstehen. Als Bollwerk gegen die hartnäckigen Feinde der offenen Gesellschaft nennt Eßer als verallgemeinerte Urteile die staatlichen Gesetze. Sie müssten befolgt werden (162). Arendt wusste: Pluralität und Spontanität freier Menschen sind nur um den Preis der letzten Unberechenbarkeit aller menschlichen Angelegenheiten zu erhalten. So sei jedes Fragen nach dem Guten, in den Worten Arendts, ein „Wagnis“, das einzig möglich sei im „Vertrauen auf das Menschliche aller Menschen“.

Eßer ist zuzustimmen, dass heute Konsumorientierung, Gleichgültigkeit und Vermassung, die „Aus- und Zurichtung auf das eine Gleis des Selbstverständlichen“, das Böse hervorbringen. Unverständlich ist jedoch, wenn die Autorin grünen Parteien Neoliberalismus attestiert. Sind es nicht gerade die Grünen, die „die planetaren Grenzen zum Leitprinzip“ ihrer Politik machen und entsprechend die Wirtschaftsweise ändern wollen, weg vom linearen hin zum zirkulären Wirtschaftsmodell, da es „auf einem endlichen Planeten [...] kein unendliches Wachstum geben“ könne? (Bündnis 90/Die Grünen 2021: 10-15).

Insgesamt präsentiert Eßer mit ihrer Dissertation eine anspruchsvolle, facettenreiche und anregende Studie, die sich aufschlussreich mit der Frage nach dem Guten im Anschluss an Hannah Arendt beschäftigt. Das Gute zeige sich nach Hannah Arendt in seiner Unberechenbarkeit. Für Eßer lasse sich mit Arendts Begriff des Guten verdeutlichen, dass wir unsere Welt nur retten können, wenn wir den Mut zu einem gesellschaftlichen Dialog aufbringen, der die andere Meinung erprobt, ernst nimmt und offen diskutiert. Ihre Arbeit bietet dem konzentrierten Leser, trotz der zuweilen sehr akademischen Sprache, der Assoziationen, Abschweifungen und Redundanzen, immer wieder inspirierende Einsichten. Das Besondere an Arendts Denken ist die Rebellion gegen das Abstrakte und Allgemeine, gegen das Wahre und Fundamentale, gegen eine festgezurrte Theorie des Politischen – gegen das Böse. Eßer macht so Arendts Aktualität deutlich.


Literatur

  • Arendt, Hannah (1964a): Fernsehgespräch mit Günter Gaus, online unter: httpps://www.youtube.com/watch?v=J9SyTEUi6Kw.
  • Arendt, Hannah (1964b): Kant’s Political Philosophy. Unveröffentlichter Nachlass, Library of Congress, Washinghton D. C., Blatt 032259; zitiert nach: Jerome Kohn: Urteilen und eine gemeinsame Welt. Übers. v. Wolfgang Heurer,. iIn: Wolfgang Heuer/Irmela von der Lühe (Hg.): Dichterisch denken. Hannah Arendt und die Künste. Göttingen.
  • Arendt, Hannah (2002): Denktagebuch (1950-1973), Erster Band/Zweiter Band, hg. vvon. Ursula Ludz und /Ingeborg Nordmann, . München/Berlin: Piper. 2002
  • Arendt, Hannah (2006): Fernsehgespräch mit Roger Errera (Oktober 1973), in: dies., Ich will verstehen. Selbstauskünfte zu Leben und Werk, München: Piper..
  • Arendt, Hannah (2013): Über die Revolution, München: Piper.
  • Benhabib, Seyla (1996): Hannah Arendt. Die melancholische Denkerin der Moderne, Hamburg: Rotbuch.
  • Bündnis 90/Die Grünen (2021): Deutschland. Alles ist drin. Bundestagswahlprogramm 2021, [online unter: https://cms.gruene.de/uploads/documents/Wahlprogramm-DIE-GRUENEN-Bundestagswahl-2021_barrierefrei.pdf].
  • Grunenberg, Antonia (2005): Hannah Arendt (1906-1975), in: Klassiker der Politikwissenschaften. Von Aristoteles bis David Easton, hg. von Wilhelm Bleek, Hans J. Lietzmann, München , S. 215.
  • Habermas, Jürgen (1981): Philosoph-politische Profile, Frankfurt a.M.
  • Jaeggi, Rahel (2007): Die im Dunkeln sieht man nicht. Hannah Arendts Theorie der Politisierung, in: H. Arendt: Verborgene Tradition – Unzeitgemäße Aktualität, S. 242, Berlin.
  • Sternberger, Dolf (1976): „Die versunkene Stadt. Hannah Arendts Idee der Politik“, in: Merkur 30, Nummer 341: 935 - 945. 

CC-BY-NC-SA
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