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Martin Hochhuth (Hrsg.)

Rückzug des Staates und Freiheit des Einzelnen. Die Privatisierung existenzieller Infrastrukturen

Berlin: Duncker & Humblot 2012 (Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte 60); 299 S.; brosch., 38,- €; ISBN 978-3-428-13890-6
Der Band versammelt 14 Beiträge namhafter deutscher Juristen und Ökonomen, die im Oktober 2010 an einer Tagung in Freiburg teilgenommen haben. Die Palette der untersuchten Bereiche, in denen in den vergangenen Jahren sukzessive eine Privatisierung der öffentlichen Dienstleistungserbringung erfolgt ist, reicht von den individuellen sozialen Risiken und der inneren Sicherheit über die Straßen- und Eisenbahninfrastruktur bis hin zum „Gesetzgebungsoutsourcing“ (65) und dem Konnex zwischen Staatsfinanzen und Finanzmarktrisiken. So beschäftigt sich Christoph Ohler in seinem eher grundsätzlich angelegten Beitrag aus einer systemtheoretischen Perspektive mit dem Verhältnis zwischen Staat und Markt. Wichtig sind seine Hinweise, dass es sich dabei nicht um Gegensätze oder zwei voneinander getrennte Sphären handelt. Vielmehr müsse die „innige Verschränkung von Herrschafts- und Geldordnung“ (151) in den Blick genommen werden. Prägnant und gut nachvollziehbar zeichnet er anschließend den Verlauf der Finanzkrise seit 2007 einschließlich der verschiedenen Irrationalitäten der Finanzmärkte nach. Überzeugend weist Ohler darauf hin, dass die politischen Maßnahmen zur Krisenbekämpfung der „Denklogik des bisherigen Aufsichtsrechts“ (169) verhaftet sind. In diesem Kontext beklagt er die fehlende internationale Abstimmung der inzwischen verabschiedeten Restrukturierungsmaßnahmen. Der Analyse von Hanno Kube liegt dagegen – zumindest mit Blick auf die Frage der Staatsverschuldung – ein liberales Staatsverständnis alter Vorkrisenprägung zugrunde, wenn er fordert, dass „die Staatsverschuldung prinzipiell zu ächten“ (187) sei. Ob die daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen einer nochmaligen Modifizierung von Art. 109 GG sowie eine verpflichtende, verfassungsrechtlich angemessene Risikobewertung von Gewährleistungsübernahmen durch den Staat derzeit politisch realistisch ist, bleibt fragwürdig. Dietrich Murswiek nimmt sich in seinem Beitrag in verdienstvoller Weise des Zusammenhangs zwischen Bankenkrise und Demokratie an. Dazu verweist er zu Recht darauf, dass die Bankenkrise eben keine „katastrophenartige Notlage“ (209) war. Die Demokratie könne sich „zwar nicht gegen historisch kontingent entstehende Zwangslagen schützen“, schreibt Murswiek, doch habe ihr Rechtssystem dafür zu sorgen, dass „die Verfassungsorgane nicht durch solche Verhaltensweisen privater Rechtssubjekte in unausweichliche Entscheidungszwänge gebracht werden“ (210). Diese scheinbar banalen Feststellungen sind es, die diesen Band durchaus lesenswert machen.
Henrik Scheller (HS)
Dr. phil., Dipl.-Politologe, wiss. Mitarbeiter, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, Lehrstuhl Politik und Regieren in Deutschland und Europa, Universität Potsdam.
Rubrizierung: 2.21 | 2.26 | 2.34 | 2.32 | 2.68 | 2.2 Empfohlene Zitierweise: Henrik Scheller, Rezension zu: Martin Hochhuth (Hrsg.): Rückzug des Staates und Freiheit des Einzelnen. Berlin: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35559-rueckzug-des-staates-und-freiheit-des-einzelnen_42903, veröffentlicht am 15.11.2012. Buch-Nr.: 42903 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken