Mariano Barbato: Wetterwechsel. Deutsche Außenpolitik von Bismarck bis Scholz
04.09.2023Mariano Barbato argumentiert in seinem Buch, dass die deutsche Außenpolitik hauptsächlich von Kontinuitäten statt von Brüchen geprägt sei. Eine Konstante sei beispielsweise das Ausspielen Deutschlands ökonomischer Stärke. Barbatos Buch setze gute Geschichtskenntnisse voraus, biete jedoch einen guten Einstieg und Überblick über 150 Jahre Außenpolitik, so unser Rezensent Michael Rohschürmann. (nb)
Eine Rezension von Michael Rohschürmann
Mariano Barbato beschäftigt sich in seinem Buch mit den Brüchen und Kontinuitäten deutscher Außenpolitik. Dabei konstatiert er, dass die Kontinuitäten gegenüber den Brüchen bei weitem überwiegen. Seit Bismarcks Zeiten sind es vor allem die Kanzler*innen, die die Außenpolitik bestimmen, welche danach seitens des Auswärtigen Amtes entsprechend umgesetzt wird. Auf dieser Traditionslinie begründet sich auch die starke Kanzlerorientierung in Barbatos Untersuchung. In diesem Sinne bescheinigt er auch der „kanzlerlosen Episode“ (18) der DDR den einzigen wirklichen Traditionsbruch seit der Reichsgründung unter Bismarck, von dem sich Barbato auch die durchgehende – manchmal etwas überstrapazierte - Wettermetaphorik entlehnt hat: „Die großen Krisen bilden das Wetter, welches Preußens Wachstum fördert, in dem sie furchtlos, vielleicht auch sehr rücksichtslos von uns benutzt werden“ (34).
Den Kanzler*innen, auf die das Buch zentriert, bescheinigt der Autor über alle Parteien hinweg eine lange Kontinuität innerhalb der deutschen Außenpolitik. „Vom Abgang Bismarcks 1890 bis zur Einheit Helmut Kohls 1990 waren deutsche Kanzler 100 Jahre lang expansiv, revolutionär oder revisionistisch, im westdeutschen Kernstaat zumindest hinsichtlich des Staatsziels Wiedervereinigung“ (44). So stellt Barbato fest, dass die deutschen Kanzler von Otto von Bismarck bis Heinrich Brüning immer wieder zwischen einer Integration in den Westen und einer eigenständigen Gestaltungspolitik unter russischer Deckung schwankten – eine Politik, die zuletzt im Rahmen des US-amerikanischen Interventionismus seit 2003 durch Gerhard Schröder forciert wurde.
Auch sei „die deutsche Befindlichkeit, sich selbst als Herz der Welt zu empfinden“, welche „Katastrophen und Verbrechen der Weltkriege überdauerte“, Teil dieser Kontinuität. (24) Eine andere Konstante bildet Deutschlands außenpolitische Fokussierung auf die eigene Wirtschaftsmacht. „Der einzige Schlüssel, den Deutschland nach seiner militärischen Niederlage [im ersten Weltkrieg] noch hatte, war sein astronomisches Potenzial, das Stresemann in den angelsächsischen Kapitalismus integrieren wollte“ (98). Diese Konstante ist geblieben und auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Wiedervereinigung blieb Deutschland eher zurückhaltend in seinem außenpolitischen Gestaltungsanspruch und habe sich stattdessen auf seine Einbindung in internationale Bündnisse fokussiert. So sei denn das „Ausspielen ökonomischer Stärke auf den Weltmärkten [der] Königsweg deutscher Außenpolitik“ (9) geworden, während die sicherheitspolitische Abhängigkeit vom Bündnis NATO immer wieder eine stärkere Position verhindere.
Der 24. Februar 2022, der Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, sei eine Zeitenwende, werden Politiker*innen und Medien nicht müde zu betonen. Damit stellt sich auch die Frage nach der Kontinuität der oben beschriebenen Traditionslinien. Mit dem Ukrainekrieg sei Barbato zufolge auch der Rest des eigenständigen Gestaltungsspielraums deutscher Außenpolitik wegfallen. Die geopolitischen Gegebenheiten haben sich geändert und auch in der deutschen politischen Rhetorik wird wieder in Blöcken gesprochen (Freiheit gegen Diktatur). In diesem Sinne konstatiert der Autor: „Der Status Quo eines deutschen Spielraums jenseits des Westens besteht nicht mehr“ (272).
Für die Suche nach einem neuen Platz Deutschlands innerhalb einer „von den USA geschaffenen machtpolitischen Grundlage des Völkerrechts“ (10) mahnt er die politisch Verantwortlichen, "dass eine regelbasierte Welt nach deutschem Regelverständnis und Regelungsinteresse nicht einfach so entsteht, weil sie für die ganze Welt so attraktiv, gut und vernünftig ist" (276) und empfiehlt: "[…] die sanfte Macht dieses Modells bedarf der Unterstützung durch harte Machtfaktoren, oder aber es muss an entscheidenden Stellen mehr Demut in der deutschen Außenpolitik einkehren" (276).
Insgesamt bietet Barbatos Buch einen guten Einstieg und Überblick über 150 Jahre Außenpolitik, in denen Deutschland zum Nationalstaat wurde, seinen Weg zwischen Ost und West gesucht und sich mehrfach übernommen hat, um sich dann als Wirtschaftsmacht „im Windschatten des Westens“ (282) zu verankern. Indes ist es kein Einstiegsbuch in die deutsche Geschichte. Der Autor setzt eine gute Kenntnis der deutschen Geschichte seit der Kanzlerschaft Otto von Bismarcks voraus.