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Uli Schöler

Herausforderungen an die Sozialdemokratie

Essen: Klartext 2016; 440 S.; 29,95 €; ISBN 978-3-8375-1017-1
Manche Bücher lassen selbst wohlmeinende, interessierte Leser mit einem gewissen Gefühl des Erstaunens zurück. Und das liegt mitnichten – wie in diesem Fall – an der gewählten Thematik. Sowohl politische Freunde als auch Gegner werden der deutschen Sozialdemokratie bescheinigen, dass sie, um es kurz zu machen, nur noch wenig politische Strahlkraft besitzt. Programmatische Beliebigkeit ist ebenso eine Folge dieser aktuellen Verfassung der Partei wie ein bisher nie dagewesener Mitgliederschwund. Wäre die Frage parteihistorisch nicht so belastet, so müsste man fragen: Was tun? Uli Schöler, ein, wie der Band durchaus untermauert, profunder Kenner dieser Historie, fragt etwas umständlicher nach den Herausforderungen, denen sich die Sozialdemokratie gegenübersieht, und nach den Möglichkeiten, mit diesen umzugehen. Ist die Partei bloß „geschichtsvergessen“ (20) oder war es der Weg hin zu einer „Allerweltspartei“ (34), ein Weg, vor dem niemand Geringeres als der Staatsrechtler Otto Kirchheimer seine Sozialdemokratie gewarnt hat, der letztlich in die Versenkung führte? – Bis hierhin ist das alles noch ein ebenso spannendes wie berechtigtes Unterfangen. Was dann aber kommt, erstaunt. Denn der Autor, der im Anhang seine Dienstadresse beim Deutschen Bundestag, wo er in der Verwaltung beschäftigt ist, als Kontakt angibt, füllt die noch übrigen, immerhin knapp 400 Seiten des Buches mit Aufsätzen, die er zwischen 1984 und 2014 an anderen Orten bereits veröffentlicht hat. Diese werden zu Themenblöcken gebündelt – etwa jener zum Schisma der Arbeiterbewegung um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert –, von denen dann behauptet wird, hieraus lasse sich etwas für die künftige Gestaltung, für die Verbesserung sozialdemokratischer Programmatik lernen. Und auch das könnte noch gelingen, wenn den teilweise vor 30 Jahren erschienenen Texten Kommentierungen oder aktuelle Literaturbelege beigestellt worden wären. Wurden sie aber nicht. Und so kauft man sich also schlimmstenfalls ein Buch, das auf dem Titel eine Gegenwartsdebatte verspricht, das aber Texte enthält, die – in Teilen – mehrere Jahrzehnte zwischenzeitlich erfolgter Forschung nicht mehr berücksichtigen. Noch dazu sind die zusammengetragenen Texte nicht einmal schwer erhältlich oder vor der Publikation hier unzugänglich oder nicht ins Deutsche übersetzt gewesen. Wer spontan an Etikettenschwindel denkt, liegt vielleicht nicht ganz falsch. Eine Chance zur produktiven Debatte über die gegenwärtige Lage und die künftige Entwicklung der deutschen Sozialdemokratie, die sich zum Beispiel fragen könnte, ob der seit einigen Jahren diskutierte Entwurf des Konvivialismus nicht ein neues theoretisches (Teil‑)Fundament ihrer Politik werden könnte, ist eindeutig vertan.
{LEM}
Rubrizierung: 2.3312.312.3112.3132.3332.352.22 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Uli Schöler: Herausforderungen an die Sozialdemokratie Essen: 2016, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/40188-herausforderungen-an-die-sozialdemokratie_45704, veröffentlicht am 08.12.2016. Buch-Nr.: 45704 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken