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Extremismus, Terrorismus, Rassismus, Antisemitismus und Hass. Neue Monografien zu Hintergründen, Entstehung und demokratischen Antworten

01.10.2021
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Dr. rer. pol. Wahied Wahdat-Hagh

ExtremismusMahnwache für die Opfer des antisemitischen Anschlags in Halle 2019. Foto: Stobaios, Wikimedia, Lizenz: CC BY-SA 4.0

 

Wahied Wahdat-Hagh bespricht drei aktuelle Werke zum Thema Extremismus, die den Gegenstand auf unterschiedlichen Ebenen angehen: Während Armin Pfahl-Traughbers „Extremismus und Terrorismus in Deutschland. Feinde der pluralistischen Gesellschaft“ aus der Theoriebildung auf die genannten Phänomene blickt, gewährt der Sammelband „Nach dem NSU. Ergebnisse und Konsequenzen für die Polizei“ von Christoph Kopke Einblicke darin, welche Rolle die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus in der Ausbildung von Polizeibeamt*innen spielt. Ahmad Mansours Buch „Solidarisch sein! Gegen Rassismus, Antisemitismus und Hass“ wiederum schildert dessen persönliches Erleben von Rassismus und Extremismus und sein praktisch ausgerichtetes Vorgehen dagegen. (lz)

Eine Sammelrezension von Wahied Wahdat-Hagh

Professor Armin Pfahl-Traughber, der Politikwissenschaft und Soziologie an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung lehrt, gehört zu den wichtigsten deutschen Extremismus-Theoretikern. Er hat in diesem Band seine über Jahre ausgearbeiteten Theorien systematisch in einer konzentrierten Fassung vorgelegt. Professor Christoph Kopke, der Politikwissenschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin am Fachbereich Polizei und Sicherheitsmanagement lehrt, hat ein Buch herausgegeben, das sich mit dem Problem des Rechtsextremismus beschäftigt. In diesem Band werden auch Bachelorarbeiten seiner Studierenden veröffentlicht. Und der palästinensisch-israelische Psychologe Ahmad Mansour, der inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, berichtet über sich und seine Arbeit.

 

Armin Pfahl-Traughber: Extremismus und Terrorismus in Deutschland. Feinde der pluralistischen Gesellschaft

Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Volkssouveränität sind die grundlegenden Prinzipien, die in einer pluralistischen Gesellschaft Demokratie und Freiheit gewährleisten. Diese Grundmerkmale einer pluralistischen Gesellschaft stehen nicht zur Disposition. Feinde einer pluralistischen Gesellschaft missachten diese Normen und Regeln. So gesehen können sowohl Extremist*innen als auch Terrorist*innen als Feinde der pluralistischen Gesellschaft betrachtet werden. Dennoch handelt es sich bei Extremismus und Terrorismus um unterschiedliche Phänomene, die auch intern zu differenzieren sind. Mit „Extremismus und Terrorismus in Deutschland, Feinde der pluralistischen Gesellschaft“ hat Armin Pfahl-Traughber ein wichtiges Werk vorgelegt, das hier begriffliche Klarheit schafft. Er unterscheidet zunächst zwischen einem juristischen und einem politikwissenschaftlichen Verständnis des Begriffes Extremismus. Juristisch betrachtet lehnen Extremisten die freiheitliche demokratische Grundordnung ab. Entscheidend für die Einstufung einer Partei oder Gruppe als extremistisch sind hierbei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, zum Beispiel als es um das Verbot der Sozialistischen Reichspartei 1952 ging. 

Dem politikwissenschaftlichen Begriff von Extremismus liegt ein theoretisches Konzept zugrunde. Der Extremismus richtet sich in der politikwissenschaftlichen Perspektive gegen den Minimalkonsens eines demokratischen Verfassungsstaates. In der Negativdefinition weisen alle extremistischen Ideologien und Bewegungen „gemeinsame formale Strukturmerkmale“ (12) auf, trotz unterschiedlicher ideologischer Ausrichtungen.

In Deutschland gibt es nach Pfahl-Traughber einen linken, einen rechten und einen religiösen Extremismus. Alle drei Ausrichtungen gingen von einem exklusiven, dogmatisch-absoluten Erkenntnisanspruch, einem essentialistischen Deutungsmonopol mit holistischen Steuerungsabsichten, einem deterministischen Geschichtsbild, einer identitären Gesellschaftskonzeption, von einem dualistischen Rigorismus und der fundamentalen Verwerfung des Bestehenden aus. 

Zudem unterscheidet Pfahl-Traughber zwischen Terror und Terrorismus. „Im Fall von ‚Terror‘ handelt der Staat.“ (15) Gemeint sind Repressionsakte von Geheimdiensten totalitärer Diktaturen, wie sie durch die Gestapo im Nationalsozialismus oder das Volkskommissariat für innere Angelegenheiten im Stalinismus ausgeübt wurden. Demgegenüber gingen die Akteur*innen des Terrorismus gegen andere Teile der Gesellschaft oder gegen Repräsentanten des Staates vor. „Salopp formuliert: Terror kommt von oben, Terrorismus von unten.“ (16)

Pfahl-Traughber weist daraufhin, dass es „moralisch legitime Formen von Gewaltanwendung“ (17) gegen bestimmte Diktaturen geben mag. Dies gelte zum Beispiel in Bezug auf den Tyrannenmord. Man könne daher nicht pauschal von „den Terroristen“ sprechen, denn dann „würden etwa auch die Hitler-Attentäter in die Kategorie ‚Terroristen‘ fallen“ (18). In Anlehnung an Uwe Backes befindet Pfahl-Traughber daher, dass man, wenn die Beseitigung des Unrechtszustands einen Dienst an der Gesellschaft erweise, eher von einem Befreiungskampf sprechen könne als von Terrorismus. Dies gelte insbesondere, wenn kein anderer Weg als Gewalt zur Beseitigung des Unrechtszustandes existiere. 

Nachdem die Grundbegriffe „Extremismus“ und „Terrorismus“ bestimmt sind, macht sich Pfahl-Traughber daran, die unterschiedlichen Ideologien voneinander abzugrenzen.

In der linken Ideologieform werde die „Gleichheit“ (19) über die Normen und Regeln eines demokratischen Verfassungsstaates gestellt. Falls die rechtsstaatlichen Normen negiert werden, könne von Extremismus gesprochen werden. Dies sei beispielsweise der Fall, wenn eine sozialistische Diktatur angestrebt werde und die demokratischen Institutionen zerschlagen werden sollen. 

In den einzelnen „Ideologiefamilien“ (20) gibt es nach Pfahl-Traughber diverse Ansätze. So existierten innerhalb der Linken gewalttätige und friedliche Anarchisten oder Marxisten. Letztere deuten ihren Lehrmeister demokratisch. Sie übten eher Kritik am bestehenden System aus, als den Marxismus zur geschlossenen Weltanschauung zu machen.

Die rechten Ideologieformen haben vor allem die Ethnie als ihren „konstitutiven Inhalt“ (22). Unterstellt wird, dass verschiedene Menschengruppen divergierende Wertigkeit haben. Auch die rechte Gesinnung sei nicht per se extremistisch, solange diese nicht über die Menschenrechte gestellt werde. Der beanspruchte Ethnopluralismus der rechten Ideologieformen täusche allerdings eine Gleichrangigkeit oft nur vor und strebe eine ethnische und politische Homogenität des Volkes an. Dazu müssten Angehörige von Minderheiten als ungleichwertig diskriminiert werden. Dadurch würden konsequent alle Voraussetzungen einer pluralistischen Gesellschaft negiert und aufgehoben. 

Religiöse Ideologieformen können sich ebenfalls extremistisch gebärden, gemeint ist hierbei aber nicht ein religiöser Fundamentalismus und eine besondere Interpretation der sakralen Texte. Anders als der religiöse Fundamentalismus sei der „religiöse Extremismus immer auch politisch“ (24). Er strebe die Errichtung einer theokratischen Diktatur an. Ähnlich wie bei anderen extremistischen Ideologien werde ein Exklusivitätsanspruch vorausgesetzt. Solche Vorstellungen könnten in einer pluralistischen Gesellschaft sogar geduldet werden, solange sich diese ausschließlich auf die religiöse Sphäre bezögen und keinen Religionsstaat etablieren wollten, der Andersgläubige zu Individuen mit geringerem Rechtsstatus degradiere.

Hinsichtlich des religiösen Extremismus kommt für Deutschland nach Pfahl-Traughber „primär dem Islamismus hohe Relevanz zu“ (25). Wenngleich es sowohl gewaltorientierte wie nicht-gewaltorientierte Extremisten gebe, haben die verschiedenen islamistischen Gruppierungen gemäß ihrer Grundauffassungen gemeinsame Zielvorstellungen. Sie verfolgten alle die Aufhebung der Trennung von Religion und Politik und die Errichtung eines theokratisch-islamischen Staates.

Pfahl-Traughber argumentiert darüber hinaus, dass die Organisationsformen der extremistischen Bewegungen in Deutschland ihre Strategien deutlich machen. Der „parteiförmige Extremismus“ (26) zeige, dass extremistische Akteure den Parlamentarismus zwar ablehnen mögen, aber die Organisationsform benutzten, um ihre Wirkungsmöglichkeiten zu erweitern. Mittels Parteien könnten extremistische Akteur*innen als politischer Machtfaktor direkt oder indirekt das Parlament beeinflussen. Ihr Wahlkampf werde staatlich mitfinanziert. Ferner weist Pfahl-Traughber auf den vereinsförmigen und „aktionsorientierten“ (27) Extremismus hin. Während in Vereinen die Aktivist*innen ihre Zielgruppen ideologisch steuerten und mobilisierten, lenkten lose Gruppen den aktionsorientierten Extremismus. 

Beim „terroristischen Extremismus“ (28) unterscheidet Pfahl-Traughber zwischen verschiedenen Organisationsformen. In Deutschland agierten linke und rechte Terrorist*innen teilweise autonom. In Ausnahmefällen könnten diese einem internationalen Netzwerk politisch zugeordnet werden. Bei den islamistischen Terrorgruppen dagegen definierten sich die Gewalttäter als Angehörige einer größeren Gruppe, die in bestimmten Ländern angesiedelt sei, und sie agierten in ihrem Auftrag. Ferner gebe es führerlose Terrorist*innen, die im Rahmen eines sogenannten Zellenmodells aktiv seien. Hier agierten die Gewalttäter*innen in voneinander unabhängigen Zellen. Wenn eine Zelle enttarnt werde, könnten die anderen weitermachen. Zudem trete der Lone-Wolf-Terrorismus der Einzeltäter*innen auf. Der einzelne oder die einzelne könne als einsamer Wolf zwar einer Gruppe zugehören, handele aber in der konkreten Tatplanung und -umsetzung selbstbestimmt.

In Bezug auf extremistische Parteien geht Pfahl-Traughber zunächst auf das Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) ein. Diese erhielt bei der Bundestagswahl 1949 zwar etwa 5,7 Prozent der Stimmen, wurde aber verboten, nachdem sie „einen revolutionären Sturz des Adenauer-Regimes“ (30) gefordert hatte. Die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) brach nach der Auflösung der DDR zusammen. Die Partei Die Linke wiederum, die ebenfalls durch den Verfassungsschutz kritisch beäugt wurde und wird, habe sich nach der Vereinigung mit der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) verändert und agiere indessen anders. In den 1990er-Jahren sei sie noch weitgehend linksextremistisch gewesen und bis heute bestünden „linksextremistische Bestrebungen in der Partei“ (32) fort.

Nach den linken beziehungsweise linksextremistischen Parteien wendet sich Pfahl-Traughber den rechten und rechtsextremistischen Parteien zu. Hier nimmt er zunächst die im Jahr 1949 entstandene rechtsextremistische Sozialistische Reichspartei (SRP) in den Blick, die sich als NS-Nachfolgepartei verstand und bei den Landtagswahlen in Niedersachsen 1951 elf Prozent der Stimmen erhielt. 1952 wurde das vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochene Parteiverbot umgesetzt. 

Die 1964 gegründete Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) konnte in den 1960er-Jahren Wahlerfolge bei den Landtagswahlen erzielen. Bei der Bundestagswahl 1969 kam sie allerdings nur auf „4,3 Prozent der Stimmen, womit ihr scheinbar unaufhaltsamer Siegeszug gestoppt war“ (52). In Sachsen erhielt die NPD 2004 bei den Landtagswahlen erneut einen hohen Stimmanteil und erzielte 9,2 Prozent der Stimmen. Da diese Partei aber ein eindeutig rechtsextremistisches Erscheinungsbild hatte, habe sie mit ihrer pronationalsozialistischen Orientierung viele Sympathisant*innen verschreckt. Von ihrem Niedergang profitierte eine neue Partei, die Alternative für Deutschland (AfD).

Die AfD wurde 2013 gegründet und kritisierte zunächst die Europapolitik der Bundesregierung. Im Zuge der Flüchtlingsentwicklung 2015 schürte sie Ressentiments und Vorurteile. Bis heute treten die gemäßigten Kräfte dieser Partei immer wieder dank eines Machtgewinns der rechtsextremistischen Kräfte zurück. Die Rechtsextremisten konnten sich daher aus Sicht Pfahl-Traughbers durchsetzen und so könne die „AfD heute als rechtsextremistisch mit einem noch vergleichsweise geringen Intensitätsgrad gelten“ (53).

Der religiöse Extremismus geht nach Pfahl-Traughber in Deutschland primär auf die islamistische Muslimbruderschaft zurück. Hassan al-Banna, der die Muslimbruderschaft im Jahr 1928 gegründet hatte, schlug eine islamische Lösung als Antwort auf den Kolonialismus und die Perspektivlosigkeit der islamischen Welt vor. In Deutschland hätten die Muslimbrüder sehr früh angefangen, ihre Aktivitäten durch verschiedene islamische Zentren zu institutionalisieren: „Besondere Bedeutung kommt dem Islamischen Zentrum München zu.“ (73) Die 1960 gegründete Moscheebau-Kommission habe dabei eine besondere Rolle gespielt. Aus dieser Kommission seien die Islamische Gemeinschaft in Deutschland und infolge die Deutsche Muslimische Gemeinschaft hervorgegangen. Es handele sich dabei um ein Netzwerk, das der Muslimbruderschaft nahestehe, dessen Einfluss bis in den Zentralrat der Muslime in Deutschland reiche. 

Pfahl-Traughber geht ferner auf die terroristische Organisation der Hamas ein, deren Anhänger nicht im Namen dieser im Jahr 1988 gegründeten Organisation in Deutschland auftreten. Diese haben hierzulande „einschlägige Netzwerke und Vereine gegründet, ohne sich auf den ersten Blick zu erkennen zu geben“ (74).

Die Anhänger der pro-iranischen Hizb-Allah wiederum zählen zu den Mitorganisator*innen der antisemitischen al-Quds-Demonstrationen in Deutschland. Die Hizb-Allah habe rein humanitäre Projekte, „die jedoch zur Finanzierung der Organisation dienen“ (76).

Milli-Görüs ist die größte islamistische Gruppierung in Deutschland. Die Sympathisant*innen dieser Organisation gründeten schon im Jahr 1985 Vereinigungen, woraus 1995 die „bedeutsame Organisation mit islamistischer Prägung die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs, IGMG“ (77) entstand. Das Logo dieser Organisation zeige Europa bereits in grüner Farbe des Islam. 

Die salafistisch extremistischen Vereinigungen wie Die Wahre Religion „wirken durch öffentliche Missionierungen und Predigten“ (79). Diese dienten dazu, junge Anhänger*innen für den Salafismus in Deutschland zu gewinnen. 

Die verschiedenen Extremist*innen haben unterschiedliche Handlungsformen, die darauf abzielten, politischen Einfluss zu gewinnen und langfristig politische Macht zu erlangen. Die Frage sei, so Pfahl-Traughber, ob die Extremist*innen auf die Gesellschaft einwirken oder „schlicht Gewalt“ (96) anwenden wollen. Dem parteiförmigen und vereinsförmigen Extremismus misst Pfahl-Traughber eine große Relevanz zu. 

Zusammenfassend betont Pfahl-Traughber, dass sich bei allen drei Formen des Extremismus „auffällige und wiederkehrende Gemeinsamkeiten, aber eben auch Unterschiede feststellen“ (101) lassen. Hieran anknüpfend führt der Autor den Begriff „extremistische Mentalität“ (102) ein, womit rigide Einstellungen ohne Zwischentöne gemeint sind. Sowohl den Ideologien als auch den Personen seien entsprechende Strukturmerkmale eigen. 

Der Autor kommt zu dem Schluss, dass der deutsche Linksterrorismus ein „historisches Phänomen“ (112) sei, obwohl Autonome nach wie vor immer wieder Polizist*innen angriffen. Er schlägt vor, dass Politiker*innen Gewaltakte von Autonomen nicht als terroristisch bezeichnen sollten. Hierdurch würden die Dimensionen der Gewaltintensität durcheinandergeraten. Dabei solle das Gefahrenpotenzial dieser Gruppen keineswegs verharmlost werden.

Die Neonazi-Szene hatte nach Pfahl-Traughber „noch nie eine so große Relevanz wie heute“ (113). Er weist auf den gewaltorientierten Bereich des Rechtsextremismus hin. Aus diesem Bereich sind kleine Gruppen mit rechtsterroristischer Orientierung hervorgegangen. 

In Medien und Politik würde man unter dem religiösen Extremismus im politischen Islamismus nur Terrorist*innen subsummieren. Dies sei aber eine Fehleinschätzung, warnt Pfahl-Traughber, denn es gebe „ebenso eine gewaltfreie und legalistische Form des Islamismus“ (113). Deren Anhänger*innen gäben sich nach außen besonders fromm und vermittelten gleichzeitig eine besondere Islam-Deutung, die mit den Grundlagen moderner Demokratie und pluralistischer Gesellschaft nicht vereinbar sei. Dies führe zu islamischen Parallelgesellschaften mit einem Konfliktpotenzial, das wiederum eine Muslimfeindlichkeit hervorrufe.

Dank seiner differenzierten Darstellung hat Pfahl-Traughber mit „Extremismus und Terrorismus in Deutschland. Feinde der pluralistischen Gesellschaft“ ein wichtiges Buch veröffentlicht, das die Probleme des Extremismus in Deutschland konzentriert beleuchtet.

 

Christoph Kopke (Hrsg.): Nach dem NSU. Ergebnisse und Konsequenzen für die Polizei


Die offene Gesellschaft und die demokratischen Werte sind durch Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rechtsterrorismus bedroht. Dies haben der Terroranschlag auf die jüdische Gemeinde in Halle am 9. Oktober 2019, die Ermordung des CDU-Politikers Walter Lübcke am 2. Juni 2019 und die Morde der rechtsterroristischen Gruppe des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) gezeigt.

Clemens Binninger schreibt in seinem Vorwort zu dem Sammelband, den Christoph Kopke herausgegeben hat, dass es darum gehe, „das Wissen über den NSU-Komplex und die damit verbundenen Fehler, Versäumnisse und Fehleinschätzungen der Sicherheitsbehörden von damals in den Sicherheitsbehörden von heute zu verankern“ (7). Ziel sei es, das Thema langfristig in Aus- und Fortbildung der Sicherheitsbehörden einzubinden. 

Die Autor*innen dieses Sammelbandes unterstreichen, dass die Enttarnung der rechtsterroristischen Gruppe des Nationalsozialistischen Untergrunds die „Gewaltbereitschaft in Teilen der extremen Rechten“ (9) gezeigt habe. Fahndungspannen und Fehleinschätzungen der Ermittlungsbehörden sowie die Arbeit des Verfassungsschutzes hätten Diskussionen über die deutsche Sicherheitsarchitektur und über das Verhältnis von Nachrichtendiensten und Polizei ausgelöst. 

Auch sei die große Terrorgefahr von rechts nach wie vor aktuell. Neonazis würden sich heute noch positiv auf die NSU beziehen. Daher geht es Kopke um die Ausbildung von Polizeibeamt*innen. Er zitiert den Journalisten Tanjev Schultz, der das Problem auf den Punkt gebracht habe: „Man muss bereits bei den jungen Beamten ansetzen, für die der NSU-Fall Pflichtstoff in der Ausbildung sein sollte.“ (13)

Kopke legt dar, dass am Fachbereich 5 der Hochschule für Wirtschaft und Recht Kommissarsanwärter*innen der Berliner Polizei studieren. Sie würden sich im Studium ausführlich mit dem Themenkomplex NSU beschäftigen, weshalb sich in diesem Sammelband, wie bereits erwähnt, einige ihrer Bachelorarbeiten finden.

Anna-Lena Braatz geht in ihrer Arbeit auf den Lone-Wolf-Terrorismus ein. Sie schreibt, dass zu den rechtsterroristischen inzwischen islamistische Lone-Wolf-Terroristen hinzugekommen seien. Die Planung solcher Anschläge sei „kaum durch die Sicherheitsbehörden aufzudecken“ (17). Solche Terroristen agierten nicht zwangsläufig komplett isoliert, sondern könnten auch Mitglieder kleiner Gruppen sein. Braatz fasst die Thesen des Terrorismusforschers Peter Neumann wie folgt zusammen: Ein Lone-Wolf-Terrorist handelt „zielgerichtet, um Taten zu begehen, die eine kommunikativ-symbolische Bedeutung besitzen, Angst verbreiten sollen und politisch oder religiös motiviert“ (21) sind. Strittig sei, wer und was genau mit dem Begriff Lone Wolf bezeichnet werden kann. Im Falle des rechtsterroristischen Attentäters Anders Behring Breivik, der am 22. Juli 2011 Anschläge in Oslo und auf der Insel Utoya beging, bei denen 77 Menschen getötet wurden, bestehe weitgehend Konsens, dass man von einem Lone Wolf sprechen könne. Bezüglich Anis Amri, der einen islamistischen Anschlag in Berlin am 19. Dezember 2016 ausführte, habe die Generalbundesanwaltschaft lediglich von einem „terroristischen Einzeltäter“ (23) gesprochen. 

Braatz konstatiert, dass der islamistische Terrorismus „derzeit die größte Bedrohung für die innere Sicherheit Deutschlands“ (31) darstelle. Die primäre Arbeit des Staatschutzes bestehe darin, die „Kommunikation von Gefährdern“ (33) zu überwachen. Sie geht davon aus, dass der konsequenteste Ansatz bei der Bewältigung des Terrorismus eine Verfassungsänderung sei, die „Strafverfolgung und Gefahrenabwehr bei der Bekämpfung des Terrorismus zu einer Aufgabe des Bundes“ (35) mache. Bei einem solchen Ansatz würden die Staatsschutzbereiche der Landeskriminalämter und Landesverfassungsschutzbehörden in das Bundeskriminalamt oder auch im Bundesamt für Verfassungsschutz eingegliedert werden, ihre Standorte aber behalten. Die Frage, ob der Lone-Wolf-Terrorismus eine Herausforderung für die Sicherheitsbehörden darstelle, müsse mit „ja beantwortet werden“ (40).

André Philipp Sindele geht in seiner Arbeit auf die Reaktionen der rechtsradikalen Szene auf den Nationalsozialistischen Untergrund ein. Im Sommer 2010 veröffentlichte die Neonazi-Rockband „Gigi und die braunen Stadtmusikanten“ das Album „Adolf Hitler lebt“. Das vierte Lied davon heißt „Döner Killer“, das sich ohne Zweifel auf den NSU bezieht. So hatte der NSU zwischen 2000 und 2007 neben Mordversuchen und Sprengstoffanschlägen acht türkischstämmige Migranten, einen Griechen und eine deutschstämmige Polizistin ermordet. Sindele zitiert aus dem Liedtext und zeigt auf, wie die rechtsextremistische Gruppe die Mordserie feiert: „Kein Fingerabdruck, keine DNA. Er kommt aus dem Nichts – doch plötzlich ist er da.“ (112) Daniel Giese, der Sänger dieser Gruppe, wurde am 15. Oktober 2012 vom Amtsgericht Meppen wegen Volksverhetzung und Billigung einer Straftat zu einer siebenmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt. Auch veröffentlichten die Sympathisant*innen des Rechtsterrorismus nach der Enttarnung der NSU als Zeichen ihrer Solidarität Videos in Internetforen.

Die NPD-Führung sei zwar bemüht gewesen, sich vom NSU zu distanzieren, doch „[u]nterhalb der Ebene demonstrativer Abgrenzung kam es zu offenen Sympathiebekundungen von NPD-Mitgliedern“ (114). Rainer Biller, NPD-Mitglied, der wegen Volksverhetzung eine Bewährungsstrafe von vier Monaten erhielt, wurde von der NPD ausgeschlossen. Dies führte Sindele zufolge wiederum zu Kritik aus der Neonaziszene, dass man „vor der Diskreditierung und Kriminalisierung einstiger Weggefährten“ (115) nicht zurückgeschreckt habe. 

Sindele schreibt, dass die Reaktionen der rechtsextremen Szene auf den NSU von „plakativer Schuldabwehr, über Verschwörungstheorien bis hin zur offenen Bewunderung“ (120) gereicht haben. Mit dem Selbstmord der Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt am 4. November 2011 wurde die Existenz der NSU als eine terroristische Vereinigung öffentlich bekannt. Sindele zufolge sind infolgedessen die rechtsextremistischen Reaktionen deutlich angewachsen. Der Bundesvorsitzende der NPD habe von einem „NSU-Phantom“ (120) gesprochen. Er und andere Verschwörungstheoretiker behaupteten, dass ausländische Geheimdienste hinter den Verbrechen gesteckt hätten.

Ingo Reichelt ist in seiner Abschlussarbeit der Frage nachgegangen, welche Konsequenzen und Aufgaben sich aus der Aufarbeitung des NSU-Komplexes für die Polizei Berlin ergeben. Dem nationalsozialistischen Untergrund (NSU) werden insgesamt zehn Morde, drei Sprengstoffanschläge und fünfzehn Überfälle zugeschrieben. Insgesamt dreizehn Untersuchungsausschüsse seien bis Ende September 2018 mit dem NSU-Komplex beschäftigt gewesen. 

Reichelt stützt sich auf die Ergebnisse der Politikwissenschaftler Britta Schellenberg und Armin Pfahl-Traughber, die auf die „neue Qualität und Stärke der extremen Rechte bzw. des NSU“ (129) hingewiesen hätten. Dabei seien die deutschen Sicherheitsbehörden auf die neue Dimension des Rechtsterrorismus nicht vorbereitet gewesen. Die Forderungen des Berliner Abgeordnetenhauses haben deutlich gemacht, dass Reformen der Polizei, auch in Berlin, vonnöten seien. 

Reichelt kommt in dem Zusammenhang zu dem Ergebnis, dass die konkreten Forderungen keine Neuerungen, „sondern vielmehr eine Sensibilisierung der bereits im täglichen Dienst der Polizei etablierten Maßnahmen und Handlungsabläufe“ (163) darstellten. Die eingeleiteten Reformen würden „weitreichenden Einfluss auf die Polizei Berlin“ (165) haben.

Christoph Kopke und Alexander Lorenz-Milord berichten in der aktualisierten Fassung ihres gemeinsamen Artikels aus dem Jahr 2017 über die Konsequenzen, die die Brandenburger Polizei aus dem NSU-Komplex gezogen habe, dass im November 2013 eine „Antirassismus-Novelle in die Verfassung des Landes Brandenburg aufgenommen“ (173) wurde. Bei der Polizei sei daraufhin der Anteil von neu Eingestellten mit Migrationshintergrund gestiegen. Es gebe jedoch keine Zahlen über die Tarifbeschäftigten mit Migrationshintergrund, denn „eine Erhebung zu einem etwaigen Migrationshintergrund durch den Dienstherrn bzw. Arbeitgeber“ (184) komme aus Rechtsgründen nicht in Betracht.

Die Brandenburger Polizei habe „schon vor dem öffentlichen Bekanntwerden des NSU einen durchaus erfolgreichen Weg beschritten“ (185). Dies erleichtere zweifellos die Umsetzung der Empfehlungen und Forderungen des ersten NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages. 

 

Ahmad Mansour: Solidarisch sein! Gegen Rassismus, Antisemitismus und Hass


Ahmad Mansour berichtet über seine Lebens- sowie Arbeitserfahrungen und verdeutlicht in diesem Zusammenhang, wie sehr er persönlich von Rassismus und Hass betroffen ist. Jedenfalls wisse er, wer die „Extremisten“, „die Feinde der Demokratie“ (98) sind.

Er vergleicht die deutschen Verhältnisse mit den israelischen. In der polarisierten israelischen Gesellschaft musste er im Jahr 2004 zusehen, wie ein Terrorist mit einem Maschinengewehr auf Autos schoss und selbst erschossen wurde. Es waren die „schrecklichsten Minuten meines Lebens“ (13), berichtet er, weswegen er beschloss, Israel zu verlassen. Er flog nach Berlin und wollte ein neues Leben beginnen, doch noch immer fühle er sich verletzt: „Die Wunden, die ich bis heute spüre, sind psychisch.“ (14)

Als er Israel verließ, wollte Mansour Probleme wie den Terrorismus hinter sich lassen. Doch Terroranschläge wie in Hanau erlaubten ihm dies nicht. Es verwundert daher nicht, dass er die Auseinandersetzung mit solchen Themen zum Beruf gemacht hat. Ahmad Mansour, der 1976 als Sohn arabischer Israelis geboren wurde, liefert in dem Band einen Bericht über seine Arbeit und stellt gleichzeitig vor, wie er bestimmte gesellschaftliche Probleme in Deutschland sieht und wie er diese lösen will.

In seinen Workshops, die er in Schulen durchführt, beschäftigt sich Mansour mit „Wertevermittlung und Demokratieförderung“ (12). An dem Tag des Anschlags von Hanau hielt er mit seinem Team einen Workshop in einer Schule und diskutierte auch an diesem Tag Themen wie Hass auf friedliche Muslime in der Schule. Er erzählt, wie an diesem Tag des Anschlags ein schwarzer Junge in der Schule seine Ängste deutlich machte oder ein palästinensisches Mädchen von den Warnungen ihrer Familienangehörigen vor den Deutschen sprach.

Mansour schreibt, dass die Workshops, die er anbietet, von „Empathie, Emotionalität und Vertrauen“ (18) lebten, da die Gefühle und Gedanken der Betroffenen Gehör fänden. Über die Arbeitsmethode seiner Projekte bemerkt er, dass diese die Menschen durchaus verunsichere, er ihnen aber niemals die eigene Meinung aufzwinge. Eher arbeite er mit einer reflexiven Methode. Man wolle durch „theaterpädagogische Arbeit Werte“ (19) vermitteln und ein kritisches Denken fördern.

Mansour, ein Praktiker, der sich mit theoretischen Ansätzen auseinandergesetzt hat, schreibt, dass sich Rassismus „in Form von Mikroaggressionen“ (26) äußern oder struktureller Natur sein könne. Er kritisiert alle Formen des Extremismus, und sieht es beispielsweise kritisch, wenn Linksextreme die Debatte um Racial Profiling bei der Polizei instrumentalisierten, um „undifferenzierte Kritik an der Polizei zu üben“ (28). Tatsächlich rekurriert er auf den Soziologen Albert Memmi, der Rassismus für einen „Komplex von zumeist widersprüchlichen Meinungen“ (31) halte. Mansour erkennt, dass es keine Rassen gibt und orientiert sich an der europäischen Definition gegen Rassismus, der zufolge Rassist*innen von „einem Gefühl der Überlegenheit gegenüber einer Person“ (33) ausgingen. 

Jeder Mensch kategorisiere und habe Vorurteile, die per se nicht schlimm seien. Vorurteile bestünden aus drei Komponenten: der kognitiven, der affektiven und der Verhaltenskomponente. Menschen seien in der Lage über ihre Vorurteile zu reflektieren, aber man dürfe „nicht vergessen, wie viel Macht sie haben, wenn sie in großem Maßstab verbreitet“ (45) werden oder als normal erscheinen.

In Anlehnung an den Psychiater und Psychotherapeuten Michael Depner konstatiert Mansour, dass Kinder, die in Familien aufwachsen, in denen sie ein „Urvertrauen“ (48) und ein Selbstwertgefühl entwickeln können, nicht hassen und nicht blind einer zerstörerischen Gewalt folgten. Mangelndes Selbstwertgefühl führe aber nicht automatisch zum Hass, sondern nur dann, wenn es kanalisiert auf bestimmte Vorurteile treffe.

Mansour erzählt die Geschichte einer jüdisch-israelischen Familie, die nach Berlin zog und schließlich Deutschland wieder verließ, da der Sohn der Familie den antisemitischen Hass seiner Mitschüler nicht mehr ertragen konnte und nicht mehr in die Schule wollte. Nachdem der Autor verschiedene Szenarien des Antisemitismus in den zurückliegenden 2.500 Jahren gestreift hat, bezeichnet er den Antisemitismus als „die Pathologie der Antisemiten“ (59). Rassismus sei aber nicht mit dem Antisemitismus gleichzusetzen, da es unter den Antirassist*innen durchaus Antisemitinnen und Antisemiten gebe, wie unter Islamist*innen, muslimische Nationalist*innen oder Linksextremist*innen. Diese würden ihren Antisemitismus oft als „Israelkritik deklarieren“ (60).

Mansour schreibt, dass er in seiner täglichen Arbeit zur „Deradikalisierung, zur Aufklärung über Antisemitismus, Islamismus und Rechtsradikalismus“ (61) vielen Formen des Antisemitismus begegne. 

Insbesondere Deutsche fühlten sich zu den Gegnern Israels in der arabischen Welt hingezogen und sähen sich berufen, „Israel sein eigenes unmoralisches Handeln aufzuzeigen“ (63). Er zitiert Gregor Gysi, der gesagt hat, dass Israelis durch die Realisierung der Annexionspläne selbst einen Antisemitismus herbeiführen würden. 

Der Autor widerspricht, indem er klar erklärt: „Nein, der Nahostkonflikt ist nicht die Ursache für Antisemitismus“ (64). Vielmehr stellt Mansour Gysis These auf den Kopf, denn er hält den  Antisemitismus für die Ursache des Nahostkonflikts.

Mansour ist in jeglicher Hinsicht betroffen, wenn er erzählt, dass er selbst zur Zielscheibe werde, wenn er als Muslim extremistische und antisemitische Muslime kritisiert. Er werde besonders stark kritisiert, wenn Anschläge wie im neuseeländischen Christchurch im März 2019 gegen Muslime verübt würden. Ihm werde vorgeworfen, den Rechtsradikalen Munition zu liefern. Als Muslim aber fühle er sich berufen, Probleme zu benennen, die viele Menschen nicht sehen wollen. Mansour geht davon aus, dass viele Probleme Muster haben, die mit der „Sozialisation zu tun haben und mit Werten, Gedanken und Traditionen“, „die mit den Prinzipien einer demokratischen Gesellschaft nicht vereinbar“ (76) seien.

Immer wieder wird Mansour persönlich. So berichtet er, dass Kritik an seiner Person nicht immer an ihm abpralle. Geradezu pathetisch wirkt es, wenn er fragt, was passieren würde, wenn er seine Arbeit nicht fortsetzen würde: „Welche Gesellschaft werde ich meiner Tochter dann hinterlassen?“ (78) Er wolle eine demokratische, gleichberechtigte und vielfältige Gesellschaft hinterlassen. 

Mansour glaubt zu wissen, wohin die Prozesse in der deutschen Gesellschaft führen. Diese würden ihn an Israel der 1990er-Jahre erinnern, an eine radikale Polarisierung der Gesellschaft. Er schreibt: „Ich möchte es nicht. Auf keinen Fall. Auch deshalb mache ich das, was ich mache.“ (79) Er wolle sinnstiftende Arbeit leisten. In seinen Projekten bringe er Jugendlichen „den Wert von Mündigkeit und die Freude an kritischem Denken“ (81) bei. Dabei hinterfrage er religiöse Einstellungen kritisch. 

Themen wie Extremismus, Integration, Klimawandel, Rassismus oder Migration würden „unsere Identität ausmachen“ (84). Oft gehe es nur darum, die eigene Meinung von anderen abzugrenzen. Dies führe dazu, dass man Probleme nicht mehr sachlich lösen könne. Jeder Demokrat könne sich leicht vom Rechtsradikalismus distanzieren, aber beim Thema Islam fragten sich viele, ob sie „fremdenfeindlich“ (85) seien. 

Mansour fragt letztlich nach dem „Wertekanon“ (86) der Betroffenen, der Ursprung mancher Straftaten darstellen könne. Sein Ziel sei es, dass die Menschen gleiche Chancen und gleiche Pflichten haben.

Das Buch wirkt teilweise wie ein Flickenteppich, zum Beispiel, wenn er zwischendurch in wenigen Sätzen Vertreter*innen der Denkrichtung des Postkolonialismus kritisiert und schreibt, dass sie alle Missstände im Nahen Osten als Ergebnis der Kolonialpolitik erklären würden. Dabei sei Rassismus „keine Einbahnstraße, die von Weißen in Richtung anderer Gruppen“ (91) führe. Machtverhältnisse könnten beim Rassismus individuell, lokal oder gesamtgesellschaftlich eine Rolle spielen. Muslime, Schwarze, LGBTQ-Gruppen oder Hartz-IV-Empfänger könnten davon betroffen sein.

Er sieht strukturelle Gemeinsamkeiten zwischen identitären Bewegungen und der Identitätspolitik. Beide – rechte und linke – Gruppen würden von homogenen Gruppen ausgehen. Kritisiert werden die Identitären und die völkischen Gruppen, da die einen „Minderheiten ausgrenzen“ (95) und die anderen diese glorifizieren wollten. 

Mansour schreibt, dass nach Hanau und Halle viel über Solidarität gesprochen worden sei und es viele Blumen gegeben habe. Er selber wolle persönlich etwas ändern: „Doch ich will keine Blumen mehr. Und ich will keine Pflichtveranstaltungen mehr, in denen alle von Solidarität sprechen“ (98).

Am Ende seines Buches macht er sieben Vorschläge. Er schlägt einen Gedenktag für die Opfer von Terrorismus vor. Es ginge darum, Verantwortung für die Gegenwart und für die Zukunft zu übernehmen und nicht nur für die Geschichte. Er schreibt: „Ich möchte an diesem Tag die Namen der Opfer lesen und ihre Gesichter sehen.“ (100) Er fordert mehr Empathie, die „Menschen stärker, psychisch stärker, psychisch stabiler“ (102) machen würde. Empathie wirke Rassismus entgegen. Durch Inklusion könne man permanente Begegnungen schaffen. Er kritisiert das „Othering“ (110), die Tatsache, dass bei Fußballvereinen Flüchtlingsmannschaften gebildet werden: Alle sollten in einem Verein gemeinsam Fußball spielen.

Er empfiehlt ferner die Biografiearbeit und die Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft, Hautfarbe und Nationalität. Demokratieerziehung und eine neue Debattenkultur gehören zu seinen weiteren Empfehlungen. 

Das Buch vermittelt zwar an einigen Stellen den Eindruck, als sei es mit heißer Nadel gestrickt, aber dennoch enthält es sehr interessante Gedanken, die jedoch zuweilen auch zu Widerspruch herausfordern. So kritisiert Mansour, dass das deutsche Schulsystem den Fokus darauf lege, „Leistung zu erbringen“ (118) anstatt Räume für Demokratieerziehung zu schaffen. Die Kritik, dass Themen wie Antisemitismus und Israelfeindschaft in der deutschen Schulbildung zu kurz kommen, ist sicher richtig. Mit seiner pauschalen Kritik geht Mansour aber über die Bemühungen all der Pädagog*innen hinweg, die dazu geführt haben, dass Demokratiebildung seit Jahrzehnten durchaus auf den Lehrplänen steht, in Schulbüchern vorkommt und in Teilen auch erfolgreich vollzogen wird. 


Fazit

Die drei Autoren, die auf unterschiedlichen Ebenen ähnliche Themen behandeln, liefern verschiedene Einsichten des Problems Extremismus. Der systematisch analysierende Extremismus- und Terrorismus-Forscher, Pfahl-Traughber liefert ein Basiswissen über das Problem. Kopke zeigt mit der Veröffentlichung der Arbeiten seiner Student*innen, dass sich die angehenden Kommissare mit den Problemen des Extremismus auseinandergesetzt haben, hier speziell mit dem NSU. Der in den Medien präsente Terrorismus- und Islamexperte Mansour zeigt eindringlich, wie komplex und schwierig es ist, das Problem in der Praxis zu bekämpfen. So unterschiedlich die drei Perspektiven, alle drei Autoren setzen sich mit ihren Büchern gegen Extremismus ein.

 

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Armin Pfahl-Traughber

Extremismus und Terrorismus in Deutschland. Feinde der pluralistischen Gesellschaft

Stuttgart, Kohlhammer 2020

Christoph Kopke (Hrsg.)

Nach dem NSU. Ergebnisse und Konsequenzen für die Polizei

Frankfurt a. M., Verlag für Polizeiwissenschaft 2020

Ahmad Mansour

Solidarisch sein! Gegen Rassismus, Antisemitismus und Hass

Frankfurt am Main, S. Fischer Verlag 2020

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