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Klaus-Dieter Müller / Konstantin Nikischkin / Günther Wagenlehner (Hrsg.)

Die Tragödie der Gefangenschaft in Deutschland und der Sowjetunion 1941-1956

Köln/Weimar: Böhlau Verlag 1998 (Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung 5); 478 S.; geb., 88,- DM; ISBN 3-412-04298-6
Weil die UdSSR die Genfer Konventionen von 1929 nicht unterschrieben hatte, sah Deutschland keinen Grund, sich nach dem Überfall auf die Sowjetunion daran zu halten. Man schätzt, daß bis zu fünfeinhalb Millionen sowjetischer Soldaten von der Wehrmacht gefangen genommen wurden, zuzüglich der etwa fünf Millionen verschleppten Zivilisten. Etwa ein Viertel der Zivilisten und die Hälfte der Soldaten hat die Gefangenschaft und die Zwangsarbeit nicht überlebt. Die Rote Armee nahm drei Millionen deutsche Soldaten gefangen, von denen etwa ein Drittel umkam. Während in der Bundesrepublik schon seit geraumer Zeit das Schicksal der Kriegsgefangenen Gegenstand der Forschung ist, wurde das Thema in der UdSSR tabuisiert, galten doch sowjetische Kriegsgefangene gemäß stalinistischer Propaganda als Vaterlandsverräter oder Kollaborateure. Erst 1995 wurden die gesetzlichen Diskriminierungen durch einen Präsidentenerlaß aufgehoben. Die Grundlage für diesen Band bildet eine Tagung deutscher und russischer Archivare in Dresden (Juli 1997). Die Aufsätze bieten zweierlei: Einerseits eine historische Bestandsaufnahme der Fakten, andererseits Einsichten und Perspektiven in die Auswertung bislang noch nicht gesichteter Quellenbestände. Die Referenten stammen aus den verschiedenen russischen Archivverwaltungen, dem Bundesarchiv, dem Institut für Archivauswertung, unterstützt durch das Hannah-Arendt-Institut. Die Aufsätze bieten insgesamt "die erste umfassende Darstellung des Themas unter Einbeziehung der Archive der Ministerien des Innern und für Verteidigung sowie der Kommissionen für 'Kriegsgefangene Internierte und Vermißte' und für die 'Rehabilitierung der Opfer politischer Repression' beim Präsidenten der Russischen Föderation" (13). Inhalt: Deutsche Gefangene in sowjetischer Hand: Tat'jana Anikanova: Bestände der staatlichen Archive Rußlands zu den deutschen und sowjetischen Kriegsgefangenen, Internierten und Repressierten (29-42); Igor' Gorbunov: Deutsche Kriegsgefangene in der Sowjetunion: Unterbringung und medizinische Versorgung (43-51); Andrej Kosteneckij: Deutsche Kriegsgefangene in der Sowjetunion: Heimatkontakte und Rückkehr (53-68); Natal'ja Eliseeva: Die NKWD-Begleittruppen für Kriegsgefangenentransporte (69-81); Mansur Muchamedžanov: Dokumente des "Sonderarchivs" als Quelle zur Erforschung des Schicksals deutscher Kriegsgefangener in sowjetischen Lagern 1941 bis 1956 (83-89); Stanislav Kuz'min: Die Unterbringung der deutschen Kriegsgefangenen auf sowjetischem Territorium (91-105); Viktor Muchin: Das System der Gefangennahme, Erfassung, Versorgung und Weiterleitung sowjetischer und deutscher Kriegsgefangener in frontnahen Gebieten 1941 bis 1945. Eine vergleichende Analyse (107-128); Stefan Karner: Die sowjetische Hauptverwaltung für Kriegsgefangene und Internierte (GUPVI) und ihr Lagersystem 1941 bis 1956 (129-153); Viktor Konasov: Bemühungen des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz zur Erleichterung des Schicksals von Kriegsgefangenen. Ein Fallbeispiel (155-159); Leonid Rešin: Geheimdienstlich-politische Kriegsgefangenenorganisationen an der sowjetisch-deutschen Front 1941 bis 1945: NKFD, BDO, Wlassow-Bewegung (161-173); Nikita Petrov: Außergerichtliche Repressionen gegen kriegsgefangene Deutsche 1941 bis 1956 (175-196); Arkadij Krupennikov: Gerichtsverfahren gegen Kriegsverbrecher Ende der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre (197-214); Gerd R. Ueberschär: Anmerkungen zur Reaktion der deutschen Führung auf die sowjetischen Kriegsverbrecherprozesse (215-224); Ralf Possekel: Strukturelle Grausamkeit. Die sowjetische Internierungspolitik in Deutschland als Produkt sowjetischer Herrschaftspraktiken 1945 bis 1950 (225-253); Günther Wagenlehner: Aktenauswertung in den russischen Archiven. Eine Zwischenbilanz nach vier Jahren (255-263). Sowjetische Gefangene in deutscher Hand und ihre Behandlung nach der Befreiung: Henry Böhm / Gerd R. Ueberschär: Aktenüberlieferung zu sowjetischen Kriegsgefangenen im Bundesarchiv-Miltärarchiv (267-279); Christian Streit: Sowjetische Kriegsgefangene in deutscher Hand. Ein Forschungsüberblick (281-290); Jörg Osterloh: Sowjetische Kriegsgefangene in deutscher Hand. Die Lebensbedingungen in den Lagern am Beispiel Zeithain (291-313); Ulrike Goeken: Von der Kooperation zur Konfrontation. Die sowjetischen Repatriierungsoffiziere in den westlichen Besatzungszonen (315-334); Vladimir Naumov / Leonid Rešin: Repressionen gegen sowjetische Kriegsgefangene und zivile Repatrianten in der UdSSR 1941 bis 1956 (335-364); Pavel Poljan: Die Endphase der Repatriierung sowjetischer Kriegsgefangener und die komplizierten Wege der Rehabilitierung (365-394). Rehabilitierung und Perspektiven deutsch-russischer Zusammenarbeit: Vladimir Korotaev: GUPVI-Dokumente als Quelle für die Klärung des Schicksals deutscher Kriegsgefangener (397-401); Manfred Blum: Der Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes und die russischen Archive: Bilanz einer erfolgreichen Zusammenarbeit (403-412); Konstantin Nikiškin: Repressionen auf dem Verwaltungswege: Probleme der Rehabilitierung Deutscher (413-416); Galina Vesnovskaja: Das Rehabilitierungsgesetz vom 18. Oktober 1991 und seine Anwendung auf deutsche Bürger (417-424); Vladimir Kupec: Probleme bei der Rehabilitierung politisch verfolgter deutscher Staatsbürger (425-438).
Axel Gablik (AG)
Dr., Historiker.
Rubrizierung: 2.313 | 2.62 | 2.312 Empfohlene Zitierweise: Axel Gablik, Rezension zu: Klaus-Dieter Müller / Konstantin Nikischkin / Günther Wagenlehner (Hrsg.): Die Tragödie der Gefangenschaft in Deutschland und der Sowjetunion 1941-1956 Köln/Weimar: 1998, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/6724-die-tragoedie-der-gefangenschaft-in-deutschland-und-der-sowjetunion-1941-1956_9058, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 9058 Rezension drucken