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Christoph Jahr

Antisemitismus vor Gericht. Debatten über die juristische Ahndung judenfeindlicher Agitation in Deutschland (1879-1960)

Frankfurt a. M./New York: Campus Verlag 2011 (Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts 16); 475 S.; kart., 39,90 €; ISBN 978-3-593-39058-1
Habilitationsschrift HU Berlin; Begutachtung: H. Winkler, R. v. Bruch, W. Bergmann. – Der Forschungsansatz von Christoph Jahr ist aus mehreren Gründen hervorzuheben. Erstens verbindet er die Realgeschichte des Antisemitismus mit der Erforschung der Strategien zu seiner Abwehr, bei denen der Rechtsweg lange Zeit überwog, und mit der öffentlichen Debatte um diese Strategien. Zweitens verschränkt er auf gelungene Weise Politik-, Kultur-, Diskurs- und Rechtsgeschichte miteinander und bleibt nicht bei einer reinen „Kriminalgeschichte“ des Antisemitismus stehen. Drittens ist die Studie auf breiter Quellenbasis gearbeitet und bezieht auch Archivalien mit ein. Viertens dienen die politischen Zäsuren der deutschen Geschichte zur Abgrenzung einzelner Phasen, aber die Perspektive bleibt phasenübergreifend, sodass verborgene Kontinuitäten insbesondere auch zur Bundesrepublik deutlich werden, die in vielen anderen Arbeiten zum Antisemitismus durch strikte Begrenzung des Untersuchungszeitraums aus dem Blick geraten. Jahr beginnt mit der „Entfaltungszeit des postemanzipatorischen Antisemitismus“ (116) seit 1879 und endet mit der für die politische Kultur der Bundesrepublik so einschneidenden Hakenkreuzschmierwelle 1960, die der schon zuvor geplanten Verschärfung des Paragraphen 130 StGB (Volksverhetzung) parlamentarisch zum Durchbruch verhalf. Das der historischen Darstellung vorangestellte Kapitel „Staat, Recht, Emanzipation“ (40 ff.) umreißt die wesentlichen Probleme bei der juristischen Verfolgung antisemitischer Äußerungen – bis hin zur rechtssoziologischen Skizze über das Justizpersonal. Bedauerlich ist, dass die Untersuchung nicht in die jüngste Zeit fortgeschrieben wird, da sie durch die Debatte um ein spezifisches Recht zur Ahndung von Hate Crimes eine außerordentlich aktuelle politische Dimension erhält, die Jahr im Schlusskapitel nur anreißen kann.
Gideon Botsch (GB)
Dr., Dipl. Pol., wiss. Mitarbeiter, Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien Potsdam (http://www.mmz-potsdam.de).
Rubrizierung: 2.31 | 2.311 | 2.313 | 2.35 Empfohlene Zitierweise: Gideon Botsch, Rezension zu: Christoph Jahr: Antisemitismus vor Gericht. Frankfurt a. M./New York: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/31747-antisemitismus-vor-gericht_37832, veröffentlicht am 05.04.2012. Buch-Nr.: 37832 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken