Widerständiges Verhalten und Herrschaftspraxis in der DDR. Vom Mauerbau bis zum Ende der Ulbricht-Ära
Geschichtswiss. Diss. FU Berlin; Gutachter: A. Bauerkämper, P. Nolte. – Die Autorin untersucht Formen und Bedingungen widerständigen Verhaltens in der DDR der 60er-Jahre. Die Forschung zu widerständigem Verhalten hat sich bisher weitgehend auf die Anfangs- und Endphase der DDR bezogen. Einleitend führt Stadelmann-Wenz aus, dass sie sich methodisch und theoretisch in die Tradition der NS-Widerstandsforschung stellt. Ihre Ausgangsthese bezieht sich auf das wechselseitige Verhältnis zwischen widerständigem Verhalten und den Ausprägungen des SED-Herrschaftssystems unter dem Begriff der „durchherrschten Gesellschaft“ (13). Somit wird widerständiges Verhalten in der Arbeit als eine Strategie verstanden, sich dem umfassenden Herrschaftsanspruch der SED zu entziehen und ihm womöglich etwas entgegenzusetzen. Neben dem Mauerbau als zentralem Ereignis beschreibt Stadelmann-Wenz die anschließende „Militarisierung der Gesellschaft“ (75) als wichtiges Herrschafts- und Sozialisierungselement in der DDR und damit verbundene und vom Regime nicht intendierte Folgen. Die Entwicklung begann mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht 1962 und der verpflichtenden Durchsetzung einer vormilitärischen Ausbildung an Universitäten und später auch Schulen. Wehrdienstverweigerung war Straftatbestand und wurde durch das SED-Regime hart verfolgt. Dennoch war die Zahl der Verweigerer hoch, sodass die SED sich für die Einführung einer Art waffenlosen Ersatzdienstes entschied: die „Bausoldaten“ (83). Aus ihm und den Totalverweigerern, beide Gruppen wurden öffentlich beschwiegen, erwuchsen langfristig oppositionelle Strukturen unter dem Dach der Kirche, die später wichtige Keimzellen für die Protestbewegung auch der 80er-Jahre wurden. Die Autorin äußert sich auch zur politischen Strafjustiz, die freilich in keinem Gesetz geregelt war, sondern durch die „personelle Verzahnung zwischen Partei und Justizapparat“ (184) gewährleistet wurde. Mit Blick auf die Kriminalstatistik führt sie weiter aus, dass die Daten die These unterstützen, dass das SED-Regime in seiner Verfolgungspraxis der 60er-Jahre mehr und mehr auf jugendliche Protest- und Verweigerungshaltungen zielte.