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Markus Holzinger / Stefan May / Wiebke Pohler

Weltrisikogesellschaft als Ausnahmezustand

Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2010; 286 S.; 28,- €; ISBN 978-3-938808-87-0
„Politisch entscheidend ist letztlich nicht das Risiko, sondern seine Wahrnehmung“, schreiben die Autoren, „Furcht schafft eine eigene Wirklichkeit“. Und angesichts von Gefahren und Risiken würden Fantasien und Gegenmittel freigesetzt, „die die moderne Gesellschaft ihrer bisherigen Handlungsfähigkeit berauben könnten“ (11). Vor einer konkreten Überprüfung dieser These an den Beispielen von SARS und den neuen Kriegen fragt Holzinger nach der theoretischen Beschaffenheit des Ausnahmezustandes. Die verschiedenen Erklärungsmöglichkeiten werden an den Schriften von Schmitt, Agamben, Luhmann und Beck aufgezeigt. Bei Schmitt erscheine der Ausnahmezustand nur als „ein Durchgangspunkt hin zu einer neuen Normallage“ (114), erläutert Holzinger, wobei in dieser autoritären Konzeption immer die Politik als reine Gewaltinstanz entscheide. Agamben thematisiere „die zunehmende Ausdehnung von rechtsfreien Sphären in der Moderne“ (115), wobei gerade das Rechtsinstitut des Ausnahmezustands das Schlupfloch sei – von den Nationalsozialisten genutzt, um den Holocaust zu verüben. Demnach bleibe „der Staatsnotstand das unsichtbare Geheimherz der Demokratie“ (116). Luhmann zufolge könne das Rechtssystem gar keinen Ausnahmezustand akzeptieren, weil Recht und Politik jeweils in sich geschlossene Systeme seien – Holzinger weist allerdings der These von der Abgeschlossenheit den Status eines Mythos zu. In der Weltrisikogesellschaft von Beck dagegen vollziehe sich der Übergang von einem Gefahren- zu einem Risikoparadigma. Die globalen Risiken elektrisierten nicht nur die gesellschaftlichen Institutionen, auch müsse bezweifelt werden, dass der Nationalstaat noch über das alleinige Definitionsmonopol des Ausnahmezustandes verfüge. An diese Darstellung schließt u. a. Pohler ihre Analyse von SARS als ein globales Risikoereignis an. Sie stellt schließlich fest, dass SARS politische und institutionelle Normalitätserwartungen unterlaufen und Routinen verändert habe – wobei als positive Erscheinung auch eine „gelungene Kooperation eines transnational operierenden Labornetzwerkes“ (131) genannt wird. Insgesamt bleibt aber am Ende des Buches die Feststellung, dass „die Grenzziehungen zwischen Politik, Recht und privater Lebenswelt porös werden“ (245) und es eine „Rückgewinnung des Politischen gegen die Politik“ (252) bedürfe, um den Ausnahmezustand angemessen einzuhegen.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 4.4 | 4.41 | 4.45 | 5.42 | 5.46 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Markus Holzinger / Stefan May / Wiebke Pohler: Weltrisikogesellschaft als Ausnahmezustand Weilerswist: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/21719-weltrisikogesellschaft-als-ausnahmezustand_38313, veröffentlicht am 14.09.2010. Buch-Nr.: 38313 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken