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Robert Lorenz / Matthias Micus

Von Beruf: Politiker. Bestandsaufnahme eines ungeliebten Stands

Freiburg i. Br./Basel/Wien: Herder 2013; 208 S.; kart., 9,99 €; ISBN 978-3-451-06599-6
Der Band richtet sich wohl vor allem an politisch Interessierte und weniger an die politikwissenschaftliche Community. Dies gründet in dem eher anekdotischen und bildhaften Stil, der sich gelegentlich auch etwas überspitzter Bilder und Formulierungen bedient und auch sonst auf Quellenverweise weitgehend verzichtet. Den beiden Autoren geht es um eine „Bestandsaufnahme der politischen Klasse“ und ein „möglichst realistisches Bild derselben“ (15). Leitend ist dabei die Frage: „Stimmt es, dass die aktuellen Spitzenpolitiker kaum mehr über Erfahrungen, Prägungen und Kenntnisse jenseits der Parteien und des Berufspolitikertums verfügen?“ Lorenz und Micus nehmen dazu eine „Spiegelung der aktuellen politischen Eliten an älteren Politikergenerationen“ (16) vor. Den Autoren ist es grundsätzlich anzurechnen, dass sie dem allgemeinen Lamento, dass frühere Politiker‑Generationen charakterstärker, redegewandter und integerer waren, auf verschiedenen Analyseebenen entgegentreten. Generell unterscheiden sie – in Anlehnung an Dietrich Herzog – zwischen drei politischen Karrieremustern, die sich in den vergangenen vier Jahrzehnten kaum geändert haben: die „Ochsentour“, die „politische Karriere“ und die „Crossover‑Karriere“ (49), womit vor allem das Phänomen der Quer‑ und Seiteneinsteiger umschrieben wird. Der Verklärung alter Zeiten, wie sie Helmut Schmidt nicht selten vornimmt, setzen sie vor allem in den letzten Kapiteln ihres Buches die Darstellung dreier Problemdimensionen entgegen, die das Politikerdasein in den zurückliegenden Jahrzehnten nachhaltig verändert haben. Dazu zählen sie einen neuen politischen Pragmatismus, der spätestens seit dem Fall des Eisernen Vorhangs an die Stelle vormals antagonistischer Ideologien getreten ist, die neuen Anforderungen der Mediengesellschaft und die Besonderheiten der „Politikverflechtungsfalle“ (187). Darunter subsumieren Lorenz und Micus die wachsende thematische Komplexität, globale Interdependenzen, die Beschleunigung der Politik und den gewandelten rheinischen Kapitalismus. Scheinen diese Erkenntnisse heute kaum noch strittig, so muss hinter die eine oder andere Pauschalierung der beiden Autoren ein Fragezeichen gesetzt werden. So bleibt zum Beispiel der von ihnen benutzte Machtbegriff unklar, wenn sie unter der Überschrift „Abschied von den Machtgenies“ behaupten, dass die neuen Politiker „überwiegend schlechte Machtspieler mit einem kurzsichtigen Blick für Gelegenheitsfenster“ (78) seien. Daneben sind viele konkrete Beispiele für einzelne Politikertypen, die die beiden Autoren anführen, inzwischen hinreichend analysiert worden, sodass auch hier der innovative Mehrwert, den eine systematische Analyse von Politikerkarrieren böte, geschmälert wird.
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Rubrizierung: 2.331 Empfohlene Zitierweise: Henrik Scheller, Rezension zu: Robert Lorenz / Matthias Micus: Von Beruf: Politiker. Freiburg i. Br./Basel/Wien: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38233-von-beruf-politiker_44569, veröffentlicht am 02.04.2015. Buch-Nr.: 44569 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken