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Deniz Yücel

Taksim ist überall. Die Gezi-Bewegung und die Zukunft der Türkei

Hamburg: Edition Nautilus 2014 (Nautilus Flugschrift); 222 S.; brosch., 12,90 €; ISBN 978-3-89401-791-0
Der Titel, den Deniz Yücel gewählt hat, stellt zwar keine Beschreibung der politischen Gegenwart der Türkei dar. Aber er steht für das politische Potenzial einer Bevölkerung, die 2013 zunächst im Gezi‑Park nur gegen das Fällen einiger Bäume demonstrierte. Daraus entwickelte sich eine Bewegung, der Yücel, der für die Berliner tageszeitung (taz) die Ereignisse in Istanbul verfolgt hat, ein weitaus größeres Anliegen attestiert – das Ringen um den Erhalt der Fundamente ihres Zusammenlebens und um den Erhalt der türkischen Demokratie. In dieser großen Reportage begibt sich der Autor mitten in die Ereignisse im Gezi‑Park und auf dem Taksim‑Platz und lässt dabei seine Leserinnen und Leser nicht nur an der Gegenwart, sondern auch an der jüngeren Vergangenheit dieses Ortes teilhaben, der sowohl für die politische Linke als auch für die Islamisten in der Türkei von historisch geronnener, politisch‑symbolischer Bedeutung ist. Unabhängig von aller Politik ist es aber vor allem auch ein Ort, an dem sich die Menschen begegnen. Widmet man ihnen wie der Autor Zeit und Aufmerksamkeit, wird die Frage, ob aus der Taksim‑Bewegung heraus eine parteipolitische Alternative zwischen Kemalismus und Islamismus entstehen könnte, ganz und gar zu einem Nebenaspekt: „Das Politische ist hier keine rein intellektuelle Sache.“ (213) Vielmehr ist das Politische – zwischen Kopftuch, Gentrifizierung und autoritärer Demokratie – an diesem Ort so unglaublich facettenreich, dass all die Kacheln eines Mosaiks, die Yücel aufdeckt, kaum zu einem einzigen großen Bild verdichtet werden können. Das ist einerseits frustrierend, denn die Antwort auf die Frage, welche konkreten politischen Konsequenzen die Taksim‑Bewegung haben wird, findet sich in dem Buch nicht. Stattdessen berichtet Yücel über Ängste, Fragen, Hoffnungen, Sorgen – und die eine Gewissheit, dass die im Gezi‑Park entstandene Welle von Demokratie, Solidarität, Protest und wechselseitigem Verständnis, wie der Autor sie beobachtet hat, möglich war. Sollte sie erneut möglich sein, dann stünde die Türkei in der Tat vor großen gesellschaftlichen Veränderungen. Yücel ist sich sicher: „Das war erst der Anfang.“ (214)
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.632.22 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Deniz Yücel: Taksim ist überall. Hamburg: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37245-taksim-ist-ueberall_45386, veröffentlicht am 03.07.2014. Buch-Nr.: 45386 Rezension drucken