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Klaus Schroeder / Monika Deutz-Schroeder / Rita Quasten / Dagmar Schulze Heuling

Später Sieg der Diktaturen? Zeitgeschichtliche Kenntnisse und Urteile von Jugendlichen

Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang 2012 (Studien des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin 17); 607 S.; geb., 39,80 €; ISBN 978-3-631-63741-8
Für das Forscherteam um Klaus Schroeder war es teils nach Kämpfen mit Kultusbehörden, teils aus Verbundenheit möglich, zeitgeschichtliche Fragebögen an Schulen mehrerer Bundesländer zu senden. Entstanden ist eine lange und nicht leicht lesbare Studie, die Erinnerungskultur und Geschichtspolitik resümiert, als Hypothese ungleiche historische Urteilsbildungen Ost- und Westdeutscher nennt, Lehrpläne auswertet, die Datenerhebung erklärt (in Quer- wie Längsschnitt) und schließlich die Antworten der 4.627 beteiligten Schülerinnen und Schüler darstellt. Die Autoren nehmen dabei eine Wichtung (Regressionsanalyse) nach Schularten und sozialen Eigenschaften vor. Vor allem die Urteile über Demokratie und Diktatur ernüchtern: Vielen fehlt Wissen über freiheitliche Vorzüge des ersten und über den Unrechtscharakter des zweiten Systems. Das Autorenteam brandmarkt die schlechte Bildung von Kindern ausländischer und ostdeutscher Eltern (jene befürworteten noch dazu oftmals soziale Unterordnung und eine Planwirtschaft). – Aber wie mag ich mich als Schüler vor einem solchen zehnseitigen Fragebogen fühlen? Ich stehe vor Aussagen wie: „Die Gestapo (Geheime Staatspolizei) im NS war eine Sonderpolizei, wie sie jeder Staat hat.“ (575) Vermutlich habe ich in der 10. Klasse noch nicht 150 Staaten analysiert und könnte mich daher über Nicaragua, Venezuela oder Weißrussland nicht qualifiziert äußern. „Sich einer Gemeinschaft unterzuordnen, ist für mich grundsätzlich wichtiger, als meine eigene Persönlichkeit in den Vordergrund zu stellen.“ (574) Wie ist das mit dem Erfahrungshorizont „Schulklasse“ zu bewerten? Sollen Schüler nicht Teamwork lernen, gerade in ethnisch gemischten Klassen? Es liegen also Suggestivfragen vor. – Curricula und Vermittlung im Land sind, so auch das Ergebnis der Studie, verbesserungswürdig. Allerdings zeigten Ergebnisse für die junge Bundesrepublik („The Civic Culture“, Princeton 1963, und Sinus-Studie „Wir sollten wieder einen Führer haben…“, Reinbek 1981): Teils herrschten autoritäre Einstellungen vor, ein Bewusstsein über den Unrechtscharakter des NS-Regimes fehlte weithin. War die alte Bundesrepublik (die Klaus Schroeder als verlorenes Paradies ansieht) deswegen ein Staat von Antidemokraten?
Sebastian Liebold (LIE)
Dr., Politologe und Zeithistoriker, wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Technische Universität Chemnitz.
Rubrizierung: 2.35 | 2.343 Empfohlene Zitierweise: Sebastian Liebold, Rezension zu: Klaus Schroeder / Monika Deutz-Schroeder / Rita Quasten / Dagmar Schulze Heuling: Später Sieg der Diktaturen? Frankfurt a. M. u. a.: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35696-spaeter-sieg-der-diktaturen_43107, veröffentlicht am 24.01.2013. Buch-Nr.: 43107 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken