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Christoph Boyer (Hrsg.)

Sozialistische Wirtschaftsreformen. Tschechoslowakei und DDR im Vergleich

Frankfurt a. M.: Vittorio Klostermann 2006 (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 210; Das Europa der Diktatur 11); XLI, 627 S.; kart., 99,- €; ISBN 978-3-465-04005-7
„Staatssozialistische Systeme sind nicht starre, zu jeder Entwicklung unfähige Reiche des Bösen“, schreibt Boyer. „Sie besitzen die Fähigkeit, inhärente Problemlagen zu bearbeiten und sich, zumindest für eine gewisse Zeitspanne, durch Umbauten zu stabilisieren.“ (IX) Was dies bedeuten kann, hat die Arbeitsgruppe „Kommunismus“ im Projekt „Das Europa der Diktatur“ des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte untersucht. Als Beispiele dienen die Wirtschaftsreformen in der Tschechoslowakei und in der DDR in den sechziger Jahren. Einleitend beschreibt Boyer die wichtigsten Merkmale einer zentral gelenkten staatssozialistischen Wirtschaft. Dazu gehörten die Orientierung am sowjetischen Modell und die uneingeschränkte Herrschaft der Partei. Prägend für die beiden Länder war außerdem die Verschiebung ihrer Ökonomien von der Leicht- und Konsumgüter- zur Investitionsgüter-/Schwerindustrie. Eine massive Wirtschaftskrise am Beginn der sechziger Jahre, so eine weitere Gemeinsamkeit, bot Anlass für „einen neuerlichen Schub institutionellen Wandels“ (XXIV). Allerdings entwickelten die Projekte, mit denen Plan und Markt effizienter zusammengeführt werden sollten, eine Eigendynamik, die die Parteiherrschaft zu sprengen drohte. Die Krise der Ökonomie habe – politisch funktionalisiert – schließlich zum Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker geführt, schreibt Boyer. Die Reformversuche in der Tschechoslowakei fanden mit der Niederschlagung des Prager Frühlings ihr Ende. „Beide Male war das Scheitern der Reform nicht unausweichlich, aber von massiver Folgerichtigkeit, d. h. auf den letztlich nicht zu brechenden Primat der Parteiherrschaft zurückzuführen“ (XXXIV). Und weil die Sicherung der Parteimacht umfassend blieb, mündete die Normalisierung in Erstarrung. Als Fazit dieser präzisen und schlüssigen Argumentationskette und als Zusammenfassung der Beiträge schreibt Boyer, dass die staatssozialistischen Systeme seit den sechziger Jahren „mit hoher Plausibilität auf den – dann vergleichsweise abrupten – Zusammenbruch und die Systemtransformation“ (XXXVII) zusteuerten.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.25 | 2.61 | 2.314 | 2.22 | 2.262 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Christoph Boyer (Hrsg.): Sozialistische Wirtschaftsreformen. Frankfurt a. M.: 2006, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/27168-sozialistische-wirtschaftsreformen_31739, veröffentlicht am 16.08.2007. Buch-Nr.: 31739 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken