Politische Erinnerungen
Die politische Logik folgt in Österreich zuweilen anderen Pfaden als in Deutschland, ein Beispiel dafür ist das ausgeprägte Proporzdenken. Wer wissen will, wie die Strukturen der Konkordanz den parteipolitischen Wettbewerb nach dem zweiten Weltkrieg überlagert haben, findet in den Erinnerungen von Franz Vranitzky einiges Anschauungsmaterial. Seine Karriere führte den Sozialdemokraten zunächst in die Führungsetagen der Bankenbranche, bevor er 1984 in der Regierung Sinowatz das Amt des Finanzministers übernahm. 1986 wurde er Bundeskanzler und blieb es zehn Jahre lang. In seine Amtszeit fiel das Ende des Ost-West-Konflikts, das die österreichische Neutralität obsolet machte und den Weg zum EU-Beitritt eröffnete. Zugleich wandelte sich das politische System Österreichs, weil die Proporzmechanismen begannen, an Bedeutung zu verlieren. Am deutlichsten ist dieser Wandel abzulesen am Aufstieg der FPÖ von einer liberalen Kleinpartei zu einer populistischen Partei mit Massenzuspruch. Diese Entwicklung, vor allem aber seine eigene Beteiligung an dieser wichtigen Phase der österreichischen Geschichte, steht im Mittelpunkt der Erinnerungen. Vranitzky, der 1997 als Beauftragter der OSZE in Albanien tätig war, spart dabei nicht mit Kritik, auch nicht gegen sich selbst.