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Friedrich Wilhelm Graf / Heinrich Meier (Hrsg.)

Politik und Religion. Zur Diagnose der Gegenwart

München: C. H. Beck 2013 (Edition der Carl Friedrich von Siemens Stiftung); 324 S.; brosch., 14,95 €; ISBN 978-3-406-65297-4
Der Band enthält acht philosophisch und theologisch fundierte Beiträge einer Vortragsreihe der Carl Friedrich von Siemens Stiftung, eingerahmt von Einleitung (Graf) und Epilog (Meier). Wie Friedrich Wilhelm Graf eingangs erläutert, wurde die im aufgeklärten Zeitalter lange als unumkehrbar angesehene gesellschaftliche Marginalisierung der Religion in den vergangenen Jahren durch das Postulat vom „Ende der Säkularisierungsthese“ (7) abgelöst. In europäischen Gelehrtenkreisen debattiere man inzwischen über die Gründe des beobachteten Phänomens der „bleibende[n] Vitalität des Religiösen und die Rückkehr religiöser Akteure in den öffentlichen Raum“ (7) – eine Diskussion, zu der das Buch substanzielle Impulse beisteuert. So spürt Hans Ulrich Gumbrecht der historischen Entwicklung des Verhältnisses von Politik und Religion in den USA nach. Verglichen mit Europa sei die US‑amerikanische Religiosität bis heute „unvergleichlich weniger von Säkularisierungsfolgen beeinträchtigt“ (75). Gleichwohl existieren Säkularisierungstendenzen, wie sich an der „Erodierung traditioneller ethischer Positionen (die Legalisierung von Schwangerschaftsabbruch oder Homosexuellenehe etwa ist nicht mehr unvorstellbar)“ (72) zeige. Hillel Fradkin untersucht vor dem Hintergrund des durch Islamisten propagierten Konzepts des „Islamischen Staates“ die „Dynamik von Religion und Politik im Islam der Gegenwart“ (121) und problematisiert dabei die zum Gemeinplatz gewordene Überzeugung, im Islam gebe es keine Unterscheidung zwischen beiden Sphären. Aus dem Reigen der durchweg hochkarätigen Aufsätze ragen Jürgen Habermas‘ Reflexionen über Politik und Religion hervor. Nirgends, argumentiert der Grandseigneur der Sozialphilosophie, sei die „Polarisierung zwischen Glauben und Wissen“ (296) so schroff ausgebildet wie in der abendländischen Kultur, was mit zur Selbstbeschränkung der modernen (westlichen) Philosophie auf Erkenntnistheorie, Vernunftrecht und Vernunftmoral als Kernbestand nachmetaphysischen Denkens geführt habe. Habermas empfiehlt der Philosophie, „den Faden einer dialogischen Beziehung zur Religion nicht abreißen [zu] lassen“ (299) – allein schon aufgrund der Bedenken, ob die Ressourcen einer reinen, gewissermaßen „religiös entschlackten“ Vernunftmoral für die Konfliktbewältigung der im Entstehen begriffenen Weltgesellschaft ausreichen werden.
Ulrich Heisterkamp (HEI)
Politikwissenschaftler, Doktorand am Institut für Politikwissenschaft der Universität Regensburg.
Rubrizierung: 2.23 | 2.21 | 2.62 | 2.64 | 5.31 | 5.42 Empfohlene Zitierweise: Ulrich Heisterkamp, Rezension zu: Friedrich Wilhelm Graf / Heinrich Meier (Hrsg.): Politik und Religion. München: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36490-politik-und-religion_44659, veröffentlicht am 05.12.2013. Buch-Nr.: 44659 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken