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M. Selim Çürükkaya

PKK. Die Diktatur des Abdullah Öcalan. Aus dem Türkischen von Gerd Landau. Mit einem Vorwort von Günter Wallraff und einem Interview Günter Wallraffs mit Abdullah Öcalan

Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1997; 256 S.; 19,90 DM; ISBN 3-596-13587-7
Der 1954 geborene Çürükkaya ist ein überzeugter Befürworter des Unabhängigkeitskampfes des kurdischen Volkes. Während seiner Studentenzeit gehörte er einer Gruppe namens "Revolutionäre für Kurdistan" an und schloß sich 1978 der in der Provinz Diyarbakir gegründeten kurdischen Arbeiterpartei, der PKK an. Auf dem ersten Kongreß der Partei wurden Programm und Satzung verabschiedet. Die PKK propagierte den bewaffneten Kampf; Feindbild Nummer eins war der türkische Staat. Als selbiger das Kriegsrecht in Kurdistan ausrief und die Sicherheitskräfte gegen die Mitglieder der Partei vorgingen, wurde Çürükkaya 1980 verhaftet. Er beschreibt in dem im August 1993 verfaßten "Tagebuch von Beirut" detailliert seine insgesamt elfjährige türkische Gefangenschaft, während der er gefoltert wurde, schwere Krankheiten durchlitt und mehrfach durch Hungerstreiks seinen Protest ausdrückte. Als Çürükkaya nach seiner Haft in der Türkei im Exil-Hauptquartier der PKK in Damaskus ankam, fand er eine veränderte Partei vor; er spricht sogar davon, daß die Partei nicht mehr existierte: "Es gab keine Organisation, kein Zentralkomitee der Partei, keinen Wahlmechanismus, die Entscheidungen wurden nicht nach dem Mehrheitsprinzip gefällt. Die Mehrheit hatte sich einem Individuum unterzuordnen. Was immer dieses Individuum [gemeint ist der Führer Abdullah Öcalan, d. Verf.] sagte, war richtig, und die Mehrheit war gezwungen, das zu akzeptieren. Früher hatte sich in der PKK die Minderheit an der Mehrheit orientiert. Jetzt aber war alles auf den Kopf gestellt: die Mehrheit, die Nation, Geister, Tiere, Fels und Stein hatten sich an eine einzelne Person zu halten. Die PKK war beseitigt worden, unser großer Führer hatte sich an ihre Stelle gesetzt. Daneben gab es nur noch die Kriecher und die Spione, und die Summe dieser drei Elemente wurde als PKK bezeichnet." (91 f.) In allen Einzelheiten beschreibt Çürükkaya die despotische Herrschaft Öcalans (genannt "APO"), die sich auf viele Bereiche erstreckte, u. a. heißt es: "[U]nser großer Führer hat sich wie eine Sex- und Mordmaschine unter unsere jungen Frauen gemischt und produziert permanent Vergewaltigte, Ermordete, Flüchtlinge, die sich dem Feind anvertrauen oder Selbstmord begehen" (180). Als der Autor erkannte, daß Widerspruch gegen den "Führer" bzw. Kritik an ihm nicht nur erfolglos, sondern sogar lebensgefährlich sein würde, entschloß er sich zur Flucht. Heute lebt er versteckt in Europa, um sich vor den "Mannen" Öcalans sowie dem türkischen Geheimdienst zu schützen. Mit dieser spannend geschriebenen Schrift wendet er sich an die Öffentlichkeit, weil er einerseits auf die Fehlentwicklungen in der PKK hinweisen möchte und andererseits hofft, daß sich der Widerstand des kurdischen Volkes in einer demokratischen Bewegung institutionalisiert (13). Am Schluß des Tagebuches findet sich "Ein Manifest", in dem Çürükkaya neun konkrete Maßnahmen für eine Reformierung und Öffnung der Partei vorschlägt. Für Wallraff, der das Vorwort verfaßt hat, ist Öcalan "Resultat, Produkt und Konsequenz einer jahrzehntelangen Verfolgungs- und Vernichtungsstrategie der türkischen Militärdemokratur gegen die kurdische Bevölkerung [...]. Wie in einem System kommunizierender Röhren verhält sich die PKK mit ihren Terroraktionen zu den Massakern der türkischen Sondereinheiten und Todesschwadronen." (9) Wallraff erhofft sich eine Läuterung Öcalans, der sich - ähnlich wie Arafat - zum Friedensstifter entwickeln könnte (12). Das von Wallraff geführte Interview mit Öcalan ist am Ende des Buches abgedruckt. Folgende Dokumente finden sich im Anhang: 1. Vom Verräter zum Märtyrer und zurück - APOs Umgang mit seinen Gegnern; 2. Mario von Baratta: Die Kurden - ein Volk ohne Staat (239-246).
Sabine Steppat (Ste)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.63 | 2.22 | 2.25 | 4.42 Empfohlene Zitierweise: Sabine Steppat, Rezension zu: M. Selim Çürükkaya: PKK. Frankfurt a. M.: 1997, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/3105-pkk_4062, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 4062 Rezension drucken