Skip to main content
Dietrich Sperling / Friedhelm Wollner (Hrsg.)

Jakob Mierscheid - Aus dem Leben eines Abgeordneten. Eine politische Holografie

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 1998; 262 S.; brosch., 34,50 DM; ISBN 3-7890-5484-4
Viele kritische Stimmen zum Start der neuen Bundesregierung haben sich nicht zuletzt im Spiegel der langwierigen Personaldiskussionen fokussiert. Bereits bei der Vorstellung der Wahlkampfmannschaft wurde ein nicht spannungsfreies Verhältnis Gerhard Schröders zur Fraktion deutlich. Wissenschaft und Publizistik haben eine naheliegende Erklärung hierfür unerwähnt gelassen: Ursache der Spannungen (bzw. Folge, bzw. beides, evtl. auch nichts davon) dürfte die Nichtberücksichtigung des MdB Mierscheid in der Regierung sein. Auch die hier anzuzeigende, ansonsten treffliche Sammlung seiner bedenkenswerten Aktivitäten verschweigt dieses Thema. Zufall oder Verschwörung? (Wo bleibt Oliver Stone?) Es ist keine Entschuldigung, daß die Drucklegung schon vor der Regierungsbildung erfolgte - ein Mierscheidianer muß antizipieren können! Seit fast 20 Jahren steht Mierscheid in vorderster Front, ohne bislang mit Positionen höherer Verantwortung betraut worden zu sein. Man denke nur an seine Initiativen in Sachen der "vertikalen Bodenmengenverfügungsdisparität" (39), der Deregulierung der Ehe (45), der sachgerechten Lösung der Hauptstadtfrage zugunsten von B-n (83) oder des Modells der Baufinanzierung "150 % aus öffentlichen Mitteln" (195) - Paradigmen kühn-innovativen Denkens, die in einer gerechten Welt ihren Autor ministrabel oder zumindest staatssekretärabel machen müßten. Ist es Zufall, daß Mierscheid einer der ersten Abgeordneten mit eigener Homepage im Internet ist? (61 ff.) Für Politikwissenschaftler von besonderem Interesse ist seine Arbeit als Wahlforscher. Das "Mierscheid-Gesetz" erlaubt aus der Beobachtung der Rohstahlproduktion in den alten Ländern eine Prognose des SPD-Stimmenanteils bei der Bundestagswahl (73), die sich 1998 (nach Drucklegung des Buches, notabene!) hervorragend bestätigt hat; allemal besser als die Methoden der Demoskopen. Haben Schröder und/oder Lafontaine gefürchtet, im Schatten des Multitalents Mierscheids stehen zu müssen? Wurde er der Frauenquote geopfert? Vielleicht kann Johannes Rau nach seiner Wahl zum (wahrscheinlich) nächsten Bundespräsidenten Gerechtigkeit walten lassen; immerhin berief er schon 1987 Mierscheid als prospektiven "Minister ohne Aufgaben" (244) in sein damaliges Team. Dem Rezensenten schwebt eine Beratergruppe von "elder statesmen" vor, der neben Mierscheid noch Ministerialdirigent Dr. Dräcker (z. Z. Auswärtiges Amt) und Verfassungsrichter Dr. Nagelmann angehören müßten.
Michael Dreyer (MD)
Prof. Dr., Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena.
Rubrizierung: 2.331 | 2.321 Empfohlene Zitierweise: Michael Dreyer, Rezension zu: Dietrich Sperling / Friedhelm Wollner (Hrsg.): Jakob Mierscheid - Aus dem Leben eines Abgeordneten. Baden-Baden: 1998, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/7249-jakob-mierscheid---aus-dem-leben-eines-abgeordneten_9674, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 9674 Rezension drucken