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Henry Rousso

Frankreich und die "dunklen Jahre" Das Regime von Vichy in Geschichte und Gegenwart. Aus dem Französischen von Christoph Brüll

Göttingen: Wallstein Verlag 2010 (Vorträge und Kolloquien 8); 190 S.; brosch., 15,- €; ISBN 978-3-8353-0756-8
Das Buch dokumentiert in zwei Kapiteln thematische Schwerpunkte sowie eine autobiografische Skizze des Zeithistorikers Henry Rousso, der für seine kritische Bestandsaufnahme der französischen Politik während der deutschen Besatzung und für die Auseinandersetzung mit dem Regime von Vichy auch über Fachkreise hinaus bekannt geworden ist. Ähnlich wie in seinem 1987 erschienenen Buch „Le Syndrome de Vichy. 1948-198…“ wirft er im ersten Teil dieses Bandes einen Blick auf jene „dunklen Jahre“, in denen der „Etat Français“ unter Führung von Philippe Pétain (1856-1961) in eine Kollaboration mit Nazi-Deutschland gezwungen war – und er hinterfragt nicht minder kritisch die gegenwärtige Praxis der französischen Erinnerungskultur. Dabei ist es nicht nur die Résistance gegen die Nationalsozialisten, die in der französischen Selbstverständigung eine Rolle spielen dürfe. Vielmehr müsse sich Frankreich – auch mit Blick auf andere Kriege und Konflikte, in die es involviert war, zum Beispiel den Algerienkrieg – fragen, welche Form des öffentlichen Gedenkens der eigenen Verantwortung angemessen ist. Denn „je mehr [...] das Gedächtnis zu einer trivialen politischen Ressource wird“, so warnt Rousso, „desto mehr verliert es seinen Lehrwert“ (33). Der Kampf um die Deutung der Geschichte dürfe nicht verloren werden. Der zweite Teil enthält unter der Überschrift „Ego Histoire“ eine Autobiografie Roussos, die sich um die Darstellung seines bisherigen wissenschaftlichen Wirkens, verbunden mit anekdotischen Einschüben, bemüht. „Historiker der Gegenwart“, so lautete einer der Vorbehalte gegenüber seiner angestrebten Spezialisierung in der Neueren und Neuesten Geschichte an der École normale supérieure de Saint-Cloud, „betrieben bestenfalls Politikwissenschaft und schlimmstenfalls Journalismus“ (91). Dennoch nahm die Forschung zu Vichy in den vergangenen 35 Jahren einen Raum in seinen Arbeiten ein. Leser auf der Suche nach biografischem Material zu Rousso sind mit diesem Band ebenso gut bedient wie Politologen auf der Suche nach guten Argumenten für die Auseinandersetzung mit der Zeitgeschichte.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.61 | 2.23 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Henry Rousso: Frankreich und die "dunklen Jahre" Göttingen: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/33054-frankreich-und-die-dunklen-jahre_39493, veröffentlicht am 25.10.2010. Buch-Nr.: 39493 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken