Skip to main content
Elmar Römpczyk

Estland, Lettland, Litauen. Geschichte, Gegenwart, Identität

Bonn: Verlag J. H. W. Dietz Nachfolger 2016; 212 S.; 19,90 €; ISBN 978-3-8012-0463-1
Das Baltikum, verstanden als homogener Länderblock, hat es nie gegeben – Elmar Römpczyk spricht einleitend von einem „Kaleidoskop unterschiedlicher Phänomene“ (9). Die Balten verbinde heute vor allem die ehemalige Zugehörigkeit zur Sowjetunion und die allmähliche Loslösung aus der russischen Einflusssphäre, gekennzeichnet durch die von vielen Esten, Letten und Litauern lang ersehnte Unabhängigkeit 1990/1991 und schließlich den EU‑Beitritt 2004. Insbesondere die Esten sähen sich eher zum skandinavischen Kulturkreis zugehörig, während in Lettland noch um die Anerkennung des Russischen als zweite Amtssprache gestritten werde. Der Autor weist zudem darauf hin, dass die Hoffnungen vieler baltischer Bürger auf mehr Offenheit in Europa enttäuscht worden seien, etwa bei den Themen Migrationspolitik, Griechenland‑Krise oder den TTIP‑Verhandlungen. Römpczyk verweist leider auf keine Quellen, wenn er von ihm als Mehrheitsmeinung dargestellte Sichtweisen der Balten wiedergibt: „Junge und alte Bürger im Baltikum“ fürchteten angesichts der Ukraine‑Krise russische Gebietsansprüche, „sie glauben nicht“, dass sie durch NATO und EU ausreichend geschützt seien und „würden lieber“ (14) verstärkte diplomatische Bemühungen zwischen Ost und West sehen. Der Autor will seinen Lesern eigentlich ermöglichen, ein eigenes Bild des Baltikums zu entwickeln. Dazu geht er auf geschichtliche Hintergründe sowie kulturelle Besonderheiten der drei Länder ein und analysiert ihre politische Gegenwart. Neben deutlichen Fortschritten bei der Entwicklung demokratischer Systeme sieht er eine weitverbreitete „Bakschisch‑Mentalität“ (80). Lehrer und Krankenhauspersonal, aber auch politische und wirtschaftlichen Eliten („Oligarchen“, 84) seien häufig korruptionsanfällig. Römpczyk wirft den Ländern außerdem die Verschwendung von EU‑Geldern vor. Dominiert werde die Politik im Baltikum von „Oligarchen‑Parteien“ (104), an deren Spitze millionenschwere Unternehmer stünden, die ähnlich wie einst in Italien Berlusconi privatwirtschaftlichen mit politischem Einfluss vereinten. Der Autor sieht folglich als größte Zukunftsherausforderungen der baltischen Länder eine Stärkung der Demokratie und der sozialen Gerechtigkeit sowie die Zurückdrängung der Korruption. Römpczyk schreibt anschaulich und teilt sein umfassendes Detailwissen mit, worunter aber manchmal die thematische Stringenz leidet. In seiner Ausdrucksweise nimmt er kein Blatt vor dem Mund, etwa wenn er beschreibt, dass das Baltikum dank Rohstoffarmut bisher von „Extraktionsgier“ (170) und „Sandmafia“ (170) verschont geblieben sei.
{WDE}
Rubrizierung: 2.613.13.42.222.232.2622.2634.22 Empfohlene Zitierweise: Wolfgang Denzler, Rezension zu: Elmar Römpczyk: Estland, Lettland, Litauen. Bonn: 2016, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/40187-estland-lettland-litauen_47138, veröffentlicht am 08.12.2016. Buch-Nr.: 47138 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken