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Christina Stein

Die Sprache der Sarrazin-Debatte. Eine diskurslinguistische Analyse

Marburg: Tectum Verlag 2012; IX, 189 S.; pb., 24,90 €; ISBN 978-3-8288-2888-9
Davon ausgehend, dass Sprache und Wirklichkeit in einem permanenten Wechselverhältnis zueinander stehen, analysiert Stein jenen Teil der Sarrazin-Debatte, die der ehemalige Berliner Finanzsenator und Bundesbanker mit seinem Pamphlet „Deutschland schafft sich ab“ 2010 losgetreten hatte (siehe Buch-Nr. 39460). Die neuerliche Euro-Schwarzmalerei Sarrazins deckt der Band – leider – nicht ab. Die von Sarrazin in „Deutschland schafft sich ab“ aufgeworfenen Begriffe – wie Integration, Migration oder Leitkultur, von den unsäglichen Versuchen im Bereich der genetischen Vererbung ganz zu schweigen – führt Stein einer diskurslinguistischen Untersuchung zu. Ihr Ziel ist es, die öffentliche Auseinandersetzung über Sarrazins Thesen, wie sie in überregionalen deutschen Tageszeitungen geführt worden ist, für die Zeit vom 23. August bis zum 15. Oktober 2010 nachzuzeichnen. Diese Eckdaten resultieren aus dem Zeitpunkt der Vorabveröffentlichung des Buches bis eine Woche nach den Äußerungen Horst Seehofers (CSU), der am 9. Oktober 2010 im „Focus“ mit Blick auf die von Sarrazin ausgelöste Debatte um die deutsche Integrationspolitik einen „Zuwanderungsstopp“ (33) gefordert hatte. Stein zeigt mit ihrer Analyse – wenig überraschend –, dass „die Integrationsthematik den Diskurs inhaltlich dominiert“ hat. Ferner werde in migrationspolitischen Argumentationen die schiere Anwesenheit von Migrantinnen und Migranten „vor allem als gesellschaftliches Problem“ (140) thematisiert – nicht aber etwa als Bereicherung oder als Chance. Die humanitäre Dimension von Migration – Stichwort Asylrecht und Kriegsflüchtlinge – kommt ebenso deutlich zu kurz. Was stattdessen auffällt, ist eine gehäufte Betrachtung von Flüchtlingen als Wirtschaftsfaktoren. Wenn Migranten über eine hohe Berufsqualifikation oder sonstige, in wirtschaftlicher Hinsicht erwünschte Fähigkeiten verfügen, sind sie willkommen. Diese Ökonomisierung der deutschen Migrations- und Integrationspolitik, die leider nur ein Nebenaspekt von Steins klar formulierter und spannender Analyse darstellt, beunruhigt mindestens genauso sehr wie die große Resonanz, auf die Sarrazins Buch gerade in der Mitte der Gesellschaft gestoßen ist.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.35 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Christina Stein: Die Sprache der Sarrazin-Debatte. Marburg: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35191-die-sprache-der-sarrazin-debatte_42372, veröffentlicht am 20.09.2012. Buch-Nr.: 42372 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken