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Friso Wielenga

Die Niederlande. Politik und politische Kultur im 20. Jahrhundert

Münster u. a.: Waxmann Verlag 2008; 399 S.; brosch., 24,90 €; ISBN 978-3-8309-1844-8
Ein opportunistischer Fürst, der Angst um seinen Thron hatte, und ein liberaler Reformer, der in zehn Tagen eine neue Verfassung niederschrieb, legten 1848 die Grundlage für die modernen Niederlande. Mit diesem Revolutionsjahr beginnt Wielenga, Direktor des Zentrums für Niederlande-Studien der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, „das erste deutschsprachige Übersichtswerk über die politische Geschichte der Niederlande im 20. Jahrhundert“ (16). Dieser Vorgeschichte folgte die Zäsur von 1917 mit der Erweiterung des Wahlrechts und vor allem mit der „Versäulung“ (97 f.) der Gesellschaft. Mit diesem soziologischen Konzept, das Wielenga gleichwohl kritisch darstellt, erschließt sich die politische Kultur des Landes und damit die Frage, warum sich die Niederlande ohne dramatische Brüche im Laufe der Jahrzehnte weiterentwickeln und modernisieren konnten. Als „Versäulung“ zu verstehen ist eine scharfe Trennung von Bevölkerungsgruppen, die sich in ihren Weltanschauungen unterscheiden (Katholiken, Protestanten, Sozialisten und Liberale), deren Eliten aber zugleich lange geräuschlos kooperierten. Die Niederlande sind also eigentlich ein Land der Minderheiten gewesen, die sich erst unter dem Druck der deutschen Besatzung 1940-45 zur Nation zusammenfanden. In diese Zeit fällt allerdings auch das düsterste Kapitel dieser Geschichte – von den 140.000 Juden starben 102.000, was einem Prozentsatz von 75 Prozent entspricht und damit einen traurigen Spitzenwert im Vergleich zu den anderen besetzten westeuropäischen Staaten darstellt. Als einen wesentlichen Grund für die hohe Zahl der Toten nennt der Autor auch die „hoch effiziente Arbeitsweise der niederländischen Bürokratie“ (217) und den traditionellen Gehorsam gegenüber Macht und Autorität. In den langen 60er-Jahren folgten „Entsäulung und Protest“ (306) und schließlich die Entstehung einer politischen Landschaft der Gegenwart, in der die politische Mitte alles zu erdrücken drohte und deshalb einen Populisten wie den 2002 ermordeten Pim Fortuyn hervorbrachte. Auch ihn erläutert Wielenga aufschlussreich und differenziert.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.61 | 4.22 | 2.22 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Friso Wielenga: Die Niederlande. Münster u. a.: 2008, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/14403-die-niederlande_34413, veröffentlicht am 29.07.2008. Buch-Nr.: 34413 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken