Im Fokus der empirischen Untersuchung steht die Frage nach der Macht: War die Bundesrepublik Deutschland in der Lage, vor, während und nach Ende des Aufbaus der eigenen Streitkräfte die Verhältnisse innerhalb der NATO so für sich zu verändern, dass sie Zugriff auf Nuklearwaffen erhielt, sie die Entscheidungsträger innerhalb der Allianz beeinflussen konnte, und somit nicht zuletzt die Entscheidungen auf Bündnisebene maßgeblich vorbereitete? Dass die Bundesrepublik in allen Teilbereichen nur suboptimale Ergebnisse erzielte, also z. B. zwar nuklearfähige Waffensysteme erhielt, jedoch niemals unmittelbar auf nukleare Sprengköpfe zugreifen konnte, erklärt Tuschhoff anhand der institutionalistischen Theorie: Die Mitgliedschaft der Bundesrepublik in dem westlichen Verteidigungsbündnis beeinflusste die Allianz über die Militärintegration, aber das geringe politische Gewicht der Bundesrepublik im Vergleich zu den USA bewirkte eben nicht, dass sich die NATO nur noch um die Belange des westdeutschen Frontstaates sorgte. Tuschhoffs These hat zweifellos den Charme einer relativ einfachen Erklärung für den Erfolg oder Misserfolg deutscher Sicherheitspolitik bis zur Implementierung der Flexible Response als Bündnisstrategie. Allerdings ist ihre Einfachheit auch nur das Ergebnis einer nachträglichen Betrachtung: Die Phasen vor einer Entscheidung waren komplexer, boten mehr Möglichkeiten und enthielten mehr Bedingungen, allein schon innerhalb der Planungs- und Entscheidungsabläufe der einzelnen nationalen Akteure, als es das bloße Ergebnis eines NATO-Beschlusses zu suggerieren vermag.