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Daniel Loick (Hrsg.)

Der Nomos der Moderne. Die politische Philosophie Giorgio Agambens

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2011 (Staatsverständnisse 40); 219 S.; 29,- €; ISBN 978-3-8329-6233-3
Agambens Beiträge zur Stellung des Menschen im modernen Staat, die das Leben des Einzelnen auf sehr radikale Weise zur Verfügungsmasse (Elias Canetti) der Politik degradiert sehen, haben in der politischen Theorie eine breite Rezeption erfahren. Agambens Homo-Sacer-Projekt (eigentlich 1995 begonnen, im deutschsprachigen Raum aber erst ab 2002 erschlossen) fragt – dem eigenen Selbstverständnis zu Folge in Foucault’scher Tradition – nach den Ausformungen der Biopolitik in der Gegenwart. Die Bereitschaft des Staates, auf das politische wie biologische Leben des Menschen zuzugreifen, sei, so Agambens Diagnose, kaum noch steigerbar. Hierfür sei das Lager, also etwa Auschwitz oder – wie das Titelbild des Bandes nahelegt – Guantanamo, der zentrale Ausdruck geworden (wiewohl mit Recht zu fragen wäre, ob das Lager nicht mittlerweile ubiquitär geworden ist), da hier rechtliche Verfügbarkeit und Rechtlosigkeit in eins fallen und den Menschen so rechtlich rechtlos preisgeben. Die rechtliche Unentscheidbarkeit dieses Ausnahmezustandes – wiewohl Agamben den Begriff nicht hinreichend trennscharf gebraucht – im Sinne einer Schwelle zwischen Rechtsgeltung und Suspendierung des Rechts avanciert dann zum Inbegriff der Moderne. Die zentrale Frage, die sich hinsichtlich der Perspektive Agambens stellt, lautet indes, ob seine Anknüpfung an die postmoderne Gesellschaftsanalyse Foucaults stimmig ist. Hier liefert der Beitrag von Maria Muhle wertvolle Hinweise. Die biopolitischen Anleihen, die Agamben bei Foucault macht, stellen, so resümiert Muhle in ihrem überaus klaren Beitrag, insofern eine Vereinseitigung dar, als dass Agamben hier die „moderne Politik als Entfaltung einer Rationalität [...] versteht“ (57). Da ist Foucaults Konzept der Biopolitik, eingebettet in seine Geschichte der Gouvernementalität, die eben nie nur einer Rationalität oder einer Praxis der Macht folgt, eindeutig weiter als Agambens unilineare Machtkonstellation. Und darüber hinaus ist schlussendlich – nach Lektüre des durchaus sehr spannenden Bandes – immer noch nicht klar, was eine politische Theorie des Ausnahmezustandes für die politische Praxis, allzumal in repräsentativen Demokratien, bedeutet. Clinton L. Rossiters Versuch, sich an der „kommissarischen Diktatur“ (Carl Schmitt) des „Constitutional Dictatorship“ abzuarbeiten – die im Übrigen nicht, wie Flügel-Martinsen schreibt, eine „Aufhebung der Verfassung“ (27), sondern nur deren partielle Suspendierung ist – ist bislang immer noch ohne signifikante Nachfolge geblieben.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 5.46 | 5.41 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Daniel Loick (Hrsg.): Der Nomos der Moderne. Baden-Baden: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/34768-der-nomos-der-moderne_41794, veröffentlicht am 09.02.2012. Buch-Nr.: 41794 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken