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Gustav Seibt (Hrsg.)

Demokratisch reden. Parlament, Medien und kritische Öffentlichkeit in Deutschland

Göttingen: Wallstein Verlag 2005 (Valerio 2/2005); 95 S.; brosch., 10,- €; ISBN 978-3-89244-987-4
„Man mag sich kaum ausmalen, mit welchen Wutanfällen Max Weber schon auf den Begriff des Infotainments reagiert hätte“ (10), schreibt der Publizist Seibt. Die „Betrachtungen eines Unpolitischen“ von Thomas Mann vor Augen, habe Weber vor politischen Dilettantismus gewarnt und festgestellt, dass die staatspolitische Gefahr für die Massendemokratie vor allem in der Möglichkeit starken Vorwiegens emotionaler Elemente in der Politik liege – eine immer noch aktuelle Analyse, so der Herausgeber. Den gegenwärtigen Zustand der von den (Unterhaltungs-)Medien geprägten Gesellschaft untersuchen in diesem Band, der begleitend zur Herbsttagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung 2005 erscheint, Schriftsteller und Journalisten. Die Beiträge sind durchweg lesenswert und gehen teilweise weit über eine journalistische Zustandsbeschreibung hinaus. So analysiert Jens Jessen, Feuilletonchef der ZEIT, präzise die Schwäche des Kapitalismus. Nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten drohe jene Systemkonvergenz Wirklichkeit zu werden, die in der Zeit des Kalten Krieges prophezeit worden sei: Der Kapitalismus nehme totalitäre Züge an und betreibe antiintellektuelle Propaganda – Kultur werde nur noch als knirschender Sand im Getriebe des Marktes dargestellt. Und Parteien erschienen nur noch als Firmen, die mit Meinungen handelten. „Es ist augenscheinlich weithin vergessen worden, dass es sich bei der Demokratie um eine Staatsform handelt, die Rechtssicherheit, Schutz des Individuums und politische Partizipation vor allem durch einen Formalismus garantiert, der den Stimmungen des Souveräns entzogen ist.“ (77) Als wirksames Korrektiv dieser Entwicklung benennt der Direktor des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte, Michael Stolleis, die Medien. Die deutsche Demokratie sei funktionsfähig nicht trotz, sondern wegen ihrer engen Verschränkung mit der öffentlichen Berichterstattung und Einflussnahme. Sogar den viel geschmähten Polit-Talkshows kann Stolleis etwas abgewinnen. Sie böten dem Volk die Möglichkeit, den Politikern „aufs Maul zu schauen“ (90).
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.333 | 2.35 | 2.331 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Gustav Seibt (Hrsg.): Demokratisch reden. Göttingen: 2005, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/25519-demokratisch-reden_29595, veröffentlicht am 25.06.2007. Buch-Nr.: 29595 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken