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Ahlrich Meyer

Das Wissen um Auschwitz. Täter und Opfer der "Endlösung" in Westeuropa

Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2010; 238 S.; 28,- €; ISBN 978-3-506-77023-3
„Was wusste die Masse der deutschen Tatbeteiligten von Auschwitz, und was haben die verfolgten und deportierten Juden geahnt oder gewusst?“ (7) Im ersten Teil seines Buches filtert der Politikwissenschaftler Meyer aus Vernehmungsaussagen ehemaliger Angehöriger der Sicherheitspolizei und der Militär- bzw. Zivilverwaltung in Frankreich, Belgien und den Niederlanden heraus, dass diese Tatbeteiligten wussten, dass sie die Juden mit den Deportationszügen in den Tod schickten. Meyer folgert dies auch aus Bemerkungen, die sich sowohl gerüchteweise in der deutschen Verwaltung verbreiteten als auch aus den offiziellen Sprachregelungen stammten. Gegenüber den Inhaftierten sollte statt von Deportation von Arbeitseinsatz und Evakuierung gesprochen werden. Diese Sprachregelungen dienten nicht nur der Täuschung der Opfer, sondern ermöglichten den Tätern auch eine Selbsttäuschung. Der wichtigste Selbsttäuschungseffekt sei allerdings in der „arbeitsteilig-großräumlichen Organisationsform und in der faktischen Unvorstellbarkeit des Verbrechens selbst begründet“ (77). Meyer will diese Selbsttäuschungen keinesfalls als entlastendes Argument verstanden wissen, den Tätern hätten ausreichende Informationen zur Verfügung gestanden um zu wissen, dass sie an einem Massenmord beteiligt waren. Daher sei der Schluss zu ziehen, dass Information nicht „der wichtigste Faktor für politisches Handeln sei“ (190). Im zweiten Kapitel konfrontiert Meyer die Aussagen der deutschen Besatzungsangehörigen mit Zeugnissen belgischer Holocaust-Überlebender. Die Juden seien gezielt getäuscht, belogen und irregeführt worden, angefangen von falschen Behauptungen über Ort und Bestimmung ihrer Deportation bis hin zur Tarnung der Gaskammern als Duschen, so die Feststellung. Meyer geht davon aus, dass etwa achtzig Prozent der Opfer nicht wussten, mit der Fahrt nach Auschwitz gleichsam zum Tode verurteilt zu sein. Im Konzentrationslager selbst habe bei der Ankunft Sprechverbot geherrscht und die Menschen seien unter Täuschung und Terror desorientiert in den Tod geschickt worden.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.312 | 2.61 | 2.35 | 2.23 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Ahlrich Meyer: Das Wissen um Auschwitz. Paderborn u. a.: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/32988-das-wissen-um-auschwitz_39404, veröffentlicht am 02.02.2011. Buch-Nr.: 39404 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken