Dass der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebe, die er selbst nicht garantieren könne, ist das bekannte Diktum Ernst‑Wolfgang Böckenfördes. Er baue auf einer moralischen Substanz seiner Bürger, die seinen Charakter als Rechtsstaat anerkennen und erhalten wollen. Wie solche Voraussetzungen von Politik angesichts vermeintlicher oder echter Krisen der westlichen Demokratie – wie sie sich in Stichworten der Postdemokratie oder der Krise des demokratischen Kapitalismus, aber auch in einer Infragestellung der säkularen Ordnung durch religiös motivierte Gewalt formulieren – jene Grundlagen einer Bürgergesellschaft neu gedacht werden können, ist das Thema des Sammelbandes. Michael Kühnlein stellt das „Vorpolitische“ als Reflexionsfigur an den Beginn begriffsorientierter Zugänge, deren Normen und Werte eine politische Gemeinschaft zusammenhalten und das Spannungsfeld von Freiheit und Ordnung umreißen. Wer vielfältige Perspektiven sucht, ist mit dem Band gut beraten: Ob gegenseitige Verantwortung und Solidarität im Miteinander erst Politik ermöglichen, welche religiösen Elemente diese Überlegungen aufnehmen, ob dies eine Art Zivilreligion für die moderne Demokratie formuliert und welche Bedeutung gemeinsame historische und kulturelle Erfahrungen haben oder wie auch der Rechtsstaat zum gerechten Staat werden kann, wird angesprochen. Claus Leggewie weist darauf hin, dass zu diesen Grundlagen auch die Natur und das Wirtschaftssystem gehören. Ob die vornehmlich philosophisch unterfütterte Differenz von Politik und dem Politischen zur Aktivierung der Demokratie beiträgt, ist gleichermaßen Teil der Debatte. Kühnleins Reflexionsfigur wird vielfältig ausgeleuchtet, erfährt darin aber auch ihre Grenzen, da den Beiträgen eine abschließende Klammer fehlt. Das „Vorpolitische“ umfasst hier die Frage nach den Legitimationsbedingungen von Politik und Demokratie.