Skip to main content
Hauke Brunkhorst

Das doppelte Gesicht Europas. Zwischen Kapitalismus und Demokratie

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2014 (edition suhrkamp 2676); 218 S.; 16,- €; ISBN 978-3-518-12676-9
Die Wahlen zum Europäischen Parlament des Jahres 2014 sind vorbei und die allgemein geäußerte Befürchtung ist groß, dass die Regierungschefs im Europäischen Rat, angeführt von Angela Merkel, weder Jean‑Claude Juncker noch Martin Schulz als Kommissionspräsidenten vorschlagen könnten. Es scheint, als würde sich die EU nicht nur in nationalstaatlichen Animositäten verlieren, sondern einmal mehr ihr fehlendes emanzipatorisches Potenzial offenbaren, das der Soziologe Hauke Brunkhorst jedoch in seinem Essay „hilflos, aber nicht ohne Hoffnung“ (9) heraufbeschwört. Die Emanzipation als Ideal Europas sollte nach Ansicht des Autors gegenüber der überbordenden Technokratie gestärkt werden. Dabei konstatiert er im ersten Kapitel scharfsinnig, dass die Europäische Union ihre Geschichte und Ursprünge verdränge und die „Herrschaft der Verträge“ (11) wirke, weil die EU vor allem durch juristisch‑technokratische Regelungen und Verordnungen geprägt sei. Brunkhorst knüpft für seine weiteren Ausführungen an Martti Koskenniemis und Kaarlo Touris Unterscheidung von „kantian constitutional mindset“ und „managerial mindset“ an. Während erstere Denkart politische Selbstbestimmung und demokratische Repräsentation durch Recht umfasst, bedeutet Letztere die bloße Instrumentalisierung und Technokratisierung des Rechts. Beide Seiten des Rechts lassen sich jedoch nicht aufheben, sondern bilden die zwei widersprüchlichen Seiten der gleichen Medaille. Im Hauptkapitel zur „Verfassungsevolution“ (59) legt Brunkhorst die Entwicklung der EU aus verfassungsrechtlicher Perspektive dar, wobei er anhand der Umkämpftheit rechtlicher und demokratischer Fragen zeigt, dass die Technokratisierung gegen die Selbstbestimmung und politische Repräsentation (vorerst) gewonnen hat. So beschreibt er die EU‑Verfassung als Wirtschaftsverfassung, die „seit Ausbruch der großen Krise 2008 mehr denn je die Verfassung des deutschen Großraums [ist], riesige Exportüberschüsse erwirtschaftet, die Inflationsrate neurotisch flach hält und die Peripherie auf unabsehbare Zeit in die Flaute einer Deflation treibt“ (68). Mit Verve erläutert Brunkhorst schließlich die kapitalistischen Verwerfungen, massiven sozialen Ungleichheiten und demokratischen Missverhältnisse in Europa und plädiert für die „Transnationalisierung des demokratischen Klassenkampfes“ (160) von unten durch eine europäische Gewerkschaftsarbeit und die Möglichkeit europäischer Streiks. Einem Zurück zum Nationalstaat erteilt er eine klare Absage.
Stefan Wallaschek (WAL)
Doktorand, Bremen International Graduate School of Social Sciences (BIGSSS).
Rubrizierung: 3.1 Empfohlene Zitierweise: Stefan Wallaschek, Rezension zu: Hauke Brunkhorst: Das doppelte Gesicht Europas. Frankfurt a. M.: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37240-das-doppelte-gesicht-europas_45808, veröffentlicht am 26.06.2014. Buch-Nr.: 45808 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken