
Bundesverfassungsgericht und Völkerrecht. Völkerrechtsverfehlungen des Bundesverfassungsgerichts und ihre Auswirkungen auf staats- und völkerrechtlicher Ebene
Rechtswiss. Diss. Potsdam; Gutachter: E. Klein, H. Pohl-Zahn. – In der Regel konnte man es sich früher erlauben, im Staatsrecht das Völkerrecht nur am Rande zur Kenntnis zu nehmen; inzwischen ist seine Einwirkung auf das Verfassungsrecht allenthalben spürbar. Die Kontroversen und rechtspolitischen Konflikte des Bundesverfassungsgerichts etwa mit dem Straßburger Menschenrechtsgerichtshof zeugen hiervon. Fiedler geht das Thema mit der auch für die Politikwissenschaft interessanten und zugleich provozierenden These von den „völkerrechtlichen Fehlentscheidungen“ an. Untersucht wird es anhand ausgewählter Fälle insbesondere zu diplomatischer Immunität, Völkermord, Bodenreform und zum Grundlagenvertrag mit der DDR sowie – wegen der „zahlreichen Konventionsverletzungen [...] in den letzten Jahren“ (87) – zur Rechtsprechung im Bereich der Europäischen Menschenrechtskonvention. Dabei geht es Fiedler nicht um eine Fundamentalkritik an der Verfassungsgerichtsbarkeit. Als Reform schlägt er allgemein eine Entlastung des Bundesverfassungsgerichts vor und speziell die konsequentere Auslegung der nationalen Grundrechtsstandards im Lichte der EMRK. Außerdem plädiert er – mit Blick gerade auf den etatistisch ausgerichteten Zweiten Senat – für die Stärkung des völkerrechtlichen Sachverstands durch die Wahl eines in diesem Fachgebiet explizit verorteten Richters – zu Recht, denn aus der Rechtspolitologie ist bekannt, dass verfassungsgerichtliche Grundlagenentscheidungen stark von den staatstheoretischen Vorverständnissen der einzelnen Richter abhängig sind, die ihrerseits auch mit der wissenschaftlichen Prägung durch das jeweilige Fachgebiet zusammenhängen. Und mit dem Ausscheiden von Helmut Steinberger als Richter habe seit 1987 „kein ausgewiesener Völkerrechtler mehr“ dem Zweiten Senat angehört, schreibt Fiedler „obwohl doch gerade dieser Senat [hierfür...] zuständig ist“ (310). Das ist, so bliebe zu ergänzen, angesichts des drastischen Bedeutungszuwachses des Völkerrechts eigentlich ein kleiner rechtspolitischer Skandal, den sich vor allem die Wahlorgane vorhalten lassen müssen.