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Mario Moretti

Brigate Rosse. Eine italienische Geschichte. Interview von Karla Mosca und Rossana Rossanda. Vorwort von Rossana Rossanda. Aus dem Italienischen von Dario Azzellini

Hamburg: Verlag Libertäre Assoziation 1996; 285 S.; 29,- DM; ISBN 3-922611-58-3
Mit Moretti hat sich 1993 einer der Gründer und zugleich bis zu seiner Verhaftung 1981 Führungskader der italienischen "Brigate Rosse" ("Rote Brigaden") zu Wort gemeldet, um die politische Vorgeschichte sowie die Geschichte der Entstehung und der ersten Aktionen der BR, die Geschichte der als "Stadtguerilla" verstandenen Phase der Illegalität zwischen 1974 und 1980/81 und schließlich die der Zersplitterung und Zerschlagung der BR zu Beginn der achtziger Jahre aus eigener Anschauung und Erinnerung darzustellen. Der vorliegende, in Italien bereits 1994 veröffentlichte Band gibt den Wortlaut von sechs Gesprächen wieder, die Moretti auf eigenen Wunsch mit den Publizistinnen Rossana Rossanda und Carla Mosca im Gefängnis von Opera geführt hat. Was Morettis Ausführungen von den jüngst in Deutschland veröffentlichten Erinnerungen ehemaliger Mitglieder der "Rote Armee Fraktion" unterscheidet, sind zunächst die Rahmenbedingungen dieser Gespräche: Alle Prozesse gegen die BR sind seit Jahren zum Abschluß gebracht; seine Äußerungen stehen somit nicht im Dilemma zwischen etwaiger "Kronzeugenrolle" und seiner Loyalität mit einstigen (Kampf-)Genossen. Außerdem wird die Debatte über eine Amnestierung der "Links-Terroristen" in Italien heute vor allem in Zusammenhang mit den erwiesenen Korruptionsfällen und Rechtsbrüchen im politischen System der alten Republik diskutiert, welche zumindest die Voraussetzungen und Beweggründe der BR heute in anderem Licht erscheinen lassen als zum Zeitpunkt ihrer Verurteilung. Wichtiger noch ist der Unterschied in der Perspektive auf diese Phase der italienischen Zeitgeschichte. Moretti und seine beiden Gesprachspartnerinnen versuchen nicht, das Psychogramm eines (geläuterten oder unbelehrten) Ex-Terroristen zu zeichnen oder sich in der Rekonstruktion strittiger Ereignisse und Aktionen zu verlieren. Stattdessen dominiert die durchweg selbstkritische Rekonstruktion eines politischen Weges aus dem Arbeiterkampf in den Mailänder Fabriken gegen Ende der sechziger Jahre in den "bewaffneten Widerstand" der radikalen Systemopposition - ein Weg, den Moretti als gescheitert bilanziert, ohne deshalb das Interesse an der Untersuchung dieses Scheiterns in Form einer konstruktiven politischen Analyse für eine Handvoll larmoyanter Anekdoten einzutauschen.
Michael Hein (HN)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Arbeitsstelle für graphische Literatur, Universität Hamburg, freier Lektor, Übersetzer, Publizist.
Rubrizierung: 2.25 | 2.23 | 2.61 Empfohlene Zitierweise: Michael Hein, Rezension zu: Mario Moretti: Brigate Rosse. Hamburg: 1996, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/3358-brigate-rosse_4417, veröffentlicht am 25.06.2007. Buch-Nr.: 4417 Rezension drucken