Die Mehrheit der weltweit Flüchtenden bleibt – von der internationalen Gemeinschaft weitgehend ignoriert – im globalen Süden, stellen Alexander Betts und Paul Collier fest. Erst die massenhafte Flucht vor dem Krieg in Syrien nach Europa hat das dysfunktionale globale Flüchtlingsregime deutlich gemacht. Die Autoren skizzieren daher Vorschläge für eine neue Flüchtlingspolitik, die auch der Krise der Politik in Europa begegnen soll. Die Ergebnisorientierung ihrer Antworten geht allerdings zulasten einer nuancierten Analyse der Komplexität von Migration, Flucht und Integration.
Björn Hacker will mit seinem Buch den Prozess der europäischen Integration gegenüber zahlreichen Krisendiagnosen linker oder rechter Spielart als zukunftsweisendes Projekt rehabilitieren. Er plädiert für einen reformistischen Realismus, der die Potenziale der bestehenden institutionellen Architektur zumal der Eurozone im Sinne einer „European Politics against global Markets“ nutzt. Hacker setzt sich unter anderem mit wesentlichen Konfliktfeldern europäischer Politik auseinander und entwirft Grundzüge einer europäischen Politikgestaltung.
Jean-Claude Juncker sprach in der Berliner „Europa Rede“ im November 2016 von einer Polykrise, die die Europäische Union seit Jahren präge. Deren vielfältige Aspekte beschreibt Wilhelm Knelangen in seinem Literaturbericht eingehend und resümiert, dass es keine Einigkeit darüber gebe, was den Kern der Krise eigentlich ausmache. Die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers 2008 markiert für Jo Leinen den Beginn der krisenhaften Entwicklung in Europa. In der Folge sei nicht nur eine Kluft innerhalb Europas deutlich geworden, sondern auch eine Stärkung des Intergouvernementalismus sowie die Entdemokratisierung der Union befördert worden. Ideen für eine Überwindung der Krise präsentieren Brendan Simms sowie Benjamin Zeeb, Ulrike Guérot, Fritz W. Scharpf, Claus Offe, Jo Leinen, Otto Schmuck, Elmar Brok, Jan Philipp Albrecht, Ingeborg Tömmel, Thomas Jansen, Grischa Beißner, Winfried Veit, Alfred Pfaller und viele andere.
In dieser essayistischen Analyse weist der bulgarische Politikwissenschaftler Ivan Krastev auf Probleme in der EU hin. Postmodernität und Postnationalismus sowie eine starke Säkularisierung haben Europa in ein Biotop entwickelt, es sei isoliert und gefangen im eigenen Modell. Die intensive Zuwanderung 2015 habe dieses jedoch infrage gestellt. Eine für den Fortbestand der Union gefährliche neue West-Ost-Spaltung habe sich ergeben. Es gäre im Inneren fast aller europäischen Länder, doch die regierenden Eliten verstünden nicht warum.
Jean Ziegler, Vizepräsident des Beratenden Ausschusses des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen, macht anhand von zahlreichen Fallbeispielen auf die Menschenrechtsverletzungen in den Hotspots der griechischen Ägäisinseln aufmerksam. Selbst im Mai 2019 nach Lesbos gereist, spricht sich der Autor nicht prinzipiell gegen Rückführungen aus, wohl aber dezidiert für das Recht, einen Asylantrag stellen zu können. Neben dem geltenden EU-Asylrecht beanstandet er daher die Strategie sogenannter Push-Back-Operationen seitens der türkischen und griechischen Küstenwachen sowie FRONTEX.
Beim EU-Gipfel im Juni 2018 sei es fast ausschließlich um das Thema Migration gegangen. Dass der Gipfel auch Teil des Prozesses zur Zukunft der EU war, wie der Europäische Rat ihn 2016 in Bratislava begonnen hatte, und er ihn hätte voranbringen sollen, sei in den Hintergrund geraten, kommentiert Nils Meyer-Ohlendorf. Die Monopolstellung des Flüchtlingsthemas schmälere aber die Fähigkeit der EU, Probleme der Zukunft zu lösen. So werde von zwei entscheidenden Fragen abgelenkt, auf die die EU Antworten finden müsse: Effizienz und Legitimität. Hierfür sei die Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen ein geeignetes Mittel.
Zwar hat die EU 2017 das 60. Jubiläum der Römischen Verträge gefeiert, doch in der EU „brennt“ es laut Jean-Claude Juncker „an allen Ecken und Enden“. Die multiplen Aspekte der Krise finden ihren Widerhall in der Literatur. Daher haben wir eine kleine Auswahl an Thinktank-Berichten und Zeitschriftenaufsätzen zusammengestellt.
Stephen Smith hat ein Buch über die mutmaßlichen Migrationsbewegungen von Afrika nach Europa vorlegt, das aufgrund der angenommenen hohen Zahlen über die Bevölkerungsentwicklung umstritten ist – seine Prognosen und damit das Bedrohungsszenario sind bereits vielfach kritisiert worden. Als zweiten Faktor, der Afrika momentan prägt, thematisiert der Autor die zunehmende Religiosität, insbesondere in ihrer fundamentalistischen Ausprägung. Was seinen Ausführungen dabei völlig fehlt, ist eine positive Idee davon, wie sich Afrika entwickeln könnte. Abschließend entwickelt Smith verschiedene Prognosen über den europäischen Umgang mit der Migration.