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Werner Renz

Fritz Bauer und das Versagen der Justiz. Nazi-Prozesse und ihre "Tragödie"

Hamburg: CEP Europäische Verlagsanstalt 2015; 196 S.; brosch., 18,- €; ISBN 978-3-86393-068-4
Was erhoffte sich Fritz Bauer von den NS‑Verfahren, die er Ende der 1950er‑Jahre anstieß? Diese Frage stellt Werner Renz, Leiter des Archivs und der Dokumentation des Fritz Bauer Instituts, gleich zu Beginn dieses Buches. Bauer habe eine volkspädagogische Vision gehabt, so die Antwort: Die Prozesse „sollten den Deutschen ‚Schule‘ und ‚Lehre‘ sein und ‚Lektionen‘ erteilen“ (9). Durch Selbsterkenntnis sollten die Westdeutschen zu engagierten Demokraten werden. Zudem sei es Bauer mit den Prozessen um die Aufklärung und Dokumentation der NS‑Verbrechen gegangen, verbunden mit der Hoffnung auf eine schnelle Aburteilung der Angehörigen des Tötungspersonals als Mittäter am Massenmord. Für Bauer sei die Massenvernichtung im Ganzen eine Tat gewesen. Wer sich an dieser Tat beteiligt habe, sei ohne weiteren Nachweis eines individuellen Beitrags als Mittäter zu behandeln. Renz geht es aber nicht nur um die Betrachtung der Vorstellungen und Erwartungen Bauers. In weiteren Kapiteln beleuchtet er zudem einzelne Teilaspekte der Frankfurter Auschwitz‑Prozesse (1963‑1965). Dazu zählen die Vorgeschichte, die Verhandlungen über eine Besichtigung des ehemaligen Lagers durch eine deutsche Delegation, die historische Quelle der Tonbandmitschnitte und die Verhinderung ihrer Vernichtung, die deutsche Erinnerungskultur und der Umgang mit NS‑Tätern ebenso wie die tatsächliche Rechtsprechung der deutschen Strafjustiz in den Auschwitz‑Prozessen. In einem weiteren Kapitel rückt der Autor dann erneut Bauer in den Fokus und rekonstruiert dessen Bilanz der NS‑Prozesse. Als in Teilen realisiertes Vorhaben sei aus der Sicht Bauers demnach die Aufklärung und Dokumentation der Verbrechen durch die Prozesse zu bewerten. Bedauerlich hingegen seien vor allem die Erinnerungsschwierigkeiten von Angeklagten und Zeugen aufgrund der langen Dauer des Verfahrens und das mit der Zeugenschaft für viele Überlebende verbundene Leiden gewesen – zumal die Bevölkerung wenig Interesse an der Aufklärung der Verbrechen gezeigt habe. Aus Sicht Bauers habe es eine mögliche Alternative zu dem NS‑Prozess gegeben: eine Rechtsprechung nach der von ihm vertretenen Rechtsauffassung. Die deutsche Justiz aber folgte der Rechtsauffassung, dass jedem SS‑Angehörigen eine konkrete Einzeltat nachgewiesen werden müsse – mit der Folge, dass viele derjenigen, die in Auschwitz Teil der Vernichtungsmaschinerie gewesen waren, damals weitgehend straffrei geblieben sind. Das Buch endet mit einer Analyse der Darstellung der Auschwitz‑Prozesse in der Springer‑Presse und einer kritischen Beurteilung der Darstellung von Fritz Bauer in Dokumentar‑ und Spielfilmen.
{JBU}
Rubrizierung: 2.352.313 Empfohlene Zitierweise: Jessica Burmester, Rezension zu: Werner Renz: Fritz Bauer und das Versagen der Justiz. Hamburg: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39789-fritz-bauer-und-das-versagen-der-justiz_48197, veröffentlicht am 30.06.2016. Buch-Nr.: 48197 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken