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Ralf Ahrens / Boris Gehlen / Alfred Reckendrees (Hrsg.)

Die "Deutschland AG". Historische Annäherungen an den bundesdeutschen Kapitalismus

Essen: Klartext 2013 (Bochumer Schriften zur Unternehmens- und Industriegeschichte 20); 377 S.; 39,95 €; ISBN 978-3-8375-0986-1
Die Einbindung deutscher Unternehmen in globale Strukturen sowie ihre Ausrichtung am Shareholder Value ist nicht einfach „passiert“, sondern das Ergebnis zielgerichteter Entscheidungen. Ihnen vorausgegangen ist ein Paradigmenwechsel, der wiederum nur mit Blick auf seine Vorgeschichte nachzuvollziehen ist. Dieser Blick zurück sollte, dies wird in diesem Sammelband rasch deutlich, kein verklärender sein, waren doch wichtige Merkmale des Kapitalismus in der alten Bundesrepublik – Stichwort: Deutschland AG – immer wieder Gegenstand der Kritik. „Diese Metapher der Volkswirtschaft als quasi‑nationaler Aktiengesellschaft bezog sich zwar nur auf die Verfügungsrechte über die 30 größten börsennotierten Unternehmen, sollte aber offenkundig eine Art Kern der deutschen Wirtschaft beschreiben“ (7), erläutern die Herausgeber – wobei nicht zu vergessen ist, dass kleine und mittlere Betriebe stets das eigentliche wirtschaftliche Fundament gewesen sind. An den großen börsennotierten Unternehmen, die dennoch das Bild prägten, war über Jahrzehnte ihre historisch gewachsene (im Vergleich aber keineswegs bemerkenswerte) Verflechtungsstruktur auffällig, die in den Beiträgen von Alfred Reckendrees und Karoline Krenn auf ihre Ursprünge während der Industrialisierung im 19. Jahrhundert und auf ihre Ausformung in der Weimarer Republik zurückgeführt wird. Zentrales Merkmal war, dass die Vertreter der großen Banken in den Aufsichtsräten dieser Unternehmen saßen und so, wie in mehreren Beiträgen auch an Einzelbeispielen gezeigt wird, personelle Netzwerke entstanden. Die Autorinnen und Autoren finden allerdings keine Belege dafür, dass diese in der Öffentlichkeit kritisierten Netzwerke zuverlässig bestimmte betriebswirtschaftliche oder wirtschaftspolitische Entscheidungen generiert hätten, auch fehlen Hinweise auf eine (zu) enge Verzahnung von Staat und Unternehmen. Bemerkenswert ist die Feststellung von Peter Kramper, dass die in den 1960er‑ und 1970er‑Jahren großen gewerkschaftlichen Unternehmen (Neue Heimat, Volksfürsorge etc.) entgegen ihrer öffentlichen Wahrnehmung kein Gegenmodell zur „Deutschland AG“ waren, sondern ein „Parallelfall“ (278). Auch sie (oder was von ihnen nach Misswirtschaft und Pleiten noch übrig war) orientieren sich ab den 1990er‑Jahren – hier liegt der Paradigmenwechsel – an der Höhe der ausgeschütteten Dividende als Erfolgsparameter. Davon ging eine nicht zu unterschätzende „Signalwirkung“ (291) für die allgemeine Akzeptanz aus. Im gewerkschaftlichen Netzwerk wie in dem der „Deutschland AG“ wurden, so der Tenor, angesichts der Globalisierung die Verflechtungen zunehmend als Innovationshemmnis wahrgenommen und deshalb aufgelöst, die Banken beendeten ihr Engagement in den Unternehmen und begannen, sich auf den internationalen Finanzmarkt zu konzentrieren.
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Rubrizierung: 2.3132.3112.32.3152.331 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Ralf Ahrens / Boris Gehlen / Alfred Reckendrees (Hrsg.): Die "Deutschland AG" Essen: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38245-die-deutschland-ag_46512, veröffentlicht am 02.04.2015. Buch-Nr.: 46512 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken