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Ulrich Chaussy

Oktoberfest. Das Attentat. Wie die Verdrängung des Rechtsterrors begann

Berlin: Ch. Links Verlag 2014; 269 S.; hardc., 19,90 €; ISBN 978-3-86153-757-1
Das Attentat auf das Oktoberfest am 26. September 1980 ist, so der Tenor dieses Buches, nicht vollständig aufgeklärt. Die Verantwortung für den Tod von zwölf Menschen und die Verletzungen von 211 weiteren Opfern wurde dem ebenfalls bei der Detonation der Bombe umgekommenen Gundolf Köhler zugeschrieben. Im Abschlussbericht der Ermittlungsbehörden wurde er als Einzeltäter benannt, dem widersprach auch die Bundesstaatsanwaltschaft nicht. Zweifel an dieser These sind seither nicht verstummt, war Köhler doch nachweislich Anhänger der rechtsradikalen Wehrsportgruppe Hoffmann. Der Journalist Ulrich Chaussy hatte für die Erstveröffentlichung seines Buches 1985 wichtige Indizien zusammengetragen, die auf einen rechtsradikalen Hintergrund des Attentats deuten. Auch schilderte er die einseitige Ermittlungsarbeit der bayerischen Polizei, die im Kontext der damaligen politischen (Macht‑)Verhältnisse stand: Die Landesregierung unter Franz Josef Strauß hatte die Wehrsportgruppe Hoffmann zuvor verharmlost und direkt nach dem Attentat dem liberalen Bundesinnenminister Gerhart Baum aus wahltaktischen Gründen die Verantwortung für die Tat zuschieben wollen. Die Feststellung eines rechtsradikalen Hintergrunds des Attentats wäre also der CSU äußerst ungelegen gekommen. Es lohnt sich, diese Darstellung und ihre aktuellen Ergänzungen (noch einmal) in dieser Neuausgabe zu lesen – haben doch inzwischen die Morde des NSU und das langjährige Versagen bei deren Aufklärung vor Augen geführt, dass es in Deutschland rechtsradikalen Terrorismus gibt und dieser lange von politischer wie staatlicher Blindheit geschützt worden ist. Bedenkenswert sind zudem die Indizien, die Chaussy mit dem Oktoberfest‑Attentat verknüpft: Dabei geht es zum einen um die Ermordung von Shlomo Lewin und Frieda Poeschke, der in der Presse zunächst antisemitisch eingefärbte Spekulationen folgten. Als Täter wurde dann wieder ein Einzelner festgestellt, obwohl auch er einen rechtsradikalen Hintergrund hatte und sich vor seinem eigenen Tod selbst bezichtigte, in München einer der Attentäter gewesen zu sein. Zum anderen ist die Herkunft des Sprengstoffs nicht geklärt, er könnte von einem rechtsextremen Waffenexperten stammen, der laut Stasi‑Akten einer Stay‑behind‑Organisation angehörte. – Inzwischen hat auch in Bayern ein Umdenken eingesetzt, dem Anwalt der Opfer wurde Akteneinsicht gewährt. Da aber einige Zeugen und mutmaßliche Beteiligte verstorben sind und zudem wichtige Asservate – unter anderem der Teil einer Hand, der weder den Opfern noch Köhler zugeordnet werden konnte – vernichtet wurden, bleibt es ungewiss, ob das Attentat jemals in seinen ganzen Dimensionen aufgeklärt werden kann.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.372.313 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Ulrich Chaussy: Oktoberfest. Berlin: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37135-oktoberfest_45387, veröffentlicht am 28.05.2014. Buch-Nr.: 45387 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken