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Petra Terhoeven

Deutscher Herbst in Europa. Der Linksterrorismus der siebziger Jahre als transnationales Phänomen

München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag 2014; 712 S.; 59,95 €; ISBN 978-3-486-71866-9
Der sogenannte Deutsche Herbst im Jahr 1977 hat sich tief in das kollektive Gedächtnis der Bundesrepublik eingegraben. Petra Terhoeven nimmt in ihrer sehr detailreichen Studie vor dem Hintergrund eines von den Beteiligten inszenierten „internationalen Verfolgungsdiskurses“ insbesondere die Verbindungen der RAF‑Terroristen nach Italien, unter anderem zu den Roten Brigaden, in den Blick. Denn: „Die Gewalteskalation in den siebziger Jahren und insbesondere der ‚Deutsche Herbst’, so die zentrale These dieses Buches, sind ohne diese transnationale Dimension, die in den Handlungsoptionen aller politischen Akteure eingeschrieben war, nicht hinreichend zu verstehen.“ (19) Neben bisherigen, auf strukturelle oder biografische Ursachen des deutschen Linksterrorismus fokussierten Analysen versucht Terhoeven damit einen alternativen Weg zu beschreiten, der die kommunikativen Strategien für ein außerhalb Deutschlands angenommenes Publikum in den Mittelpunkt rückt. „Wie schon angedeutet, fand die Kernbotschaft der RAF ab 1972, ihre gewaltsame Aktionsstrategie sei letztlich als Notwehr gegen einen Polizeistaat zu verstehen, der seine politischen Gegner in modernen KZs erbarmungslos ihrer Vernichtung zuführe, vor allem [...] in Frankreich, den Niederlanden und Italien“ Widerhall. So gelingt es Terhoeven, in wesentlich breiterem Maße Akteure in ihre Analyse des Linksterrorismus miteinzubeziehen, als es ohne die Berücksichtigung des „Rezeptionsdispositivs“ (45) möglich wäre. Im Wesentlichen unternimmt sie eine „kulturgeschichtlich orientierte Aufarbeitung der politischen Geschichte der 70er Jahre“ (56). Dabei steht das „deutsch‑italienische Beziehungsnetzwerk“ (47) im Mittelpunkt. Denn in Italien waren die Reaktionen auf die RAF sowie eigene linksterroristische Erfahrungen – in Form der Roten Brigaden, die durch die Entführung und Ermordung Aldo Moros auf sich aufmerksam gemacht haben – besonders stark ausgeprägt. Die Auseinandersetzung mit politischer Gewalt und den Strategien ihrer Rechtfertigung, so macht die Studie, die in all ihren Details hier nicht einmal annähernd angemessen gewürdigt werden kann, deutlich, ist beileibe kein deutsches und auch kein italienisches Anliegen. In transnational‑kommunikativer Perspektive handelt es sich ganz eindeutig um ein europäisches Problem.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.313 | 2.37 | 2.61 | 2.25 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Petra Terhoeven: Deutscher Herbst in Europa. München: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37031-deutscher-herbst-in-europa_45243, veröffentlicht am 30.04.2014. Buch-Nr.: 45243 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken