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Matthias Ritzi / Erich Schmidt-Eenboom

Im Schatten des Dritten Reiches. Der BND und sein Agent Richard Christmann

Berlin: Ch. Links Verlag 2011; 248 S.; geb., 19,90 €; ISBN 978-3-86153-643-7
Obgleich mit der 2011 eingesetzten Historikerkommission ein (vorwiegend interner) Aufarbeitungsprozess des Bundesnachrichtendienstes angestoßen wurde, ist fraglich, ob aufgrund der geheimdienstlichen Endredaktion alle gewonnenen Erkenntnisse veröffentlicht werden. Gerade in Bezug auf zwei Fragen, nämlich die der NS-Vergangenheit von BND-Mitarbeitern und die des illegitimen, aber ggf. faktisch erfolgten Eingriffs in die politischen Verhältnisse anderer Staaten, würde eine unzensierte Publikation der Ergebnisse möglicherweise ein anderes Bild von der Tätigkeit des BND zeichnen. Denn trotz des noch nicht vorliegenden Berichts sind die beiden Autoren davon überzeugt, dass es eine personelle Kontinuität zwischen Drittem Reich und Bundesrepublik gab und dass der Bundesnachrichtendienst in mehreren Fällen über seine eigentliche Aufgabe hinaus tätig war. Diesen Verdacht erhärten Ritzi und der BND-Experte Schmidt-Eenboom am Beispiel von Richard Christmann und seiner Rolle im Geheimdienst (über die bisher so gut wie nichts bekannt war), indem sie seit kurzem zugängliche Geheimdokumente und Vernehmungsprotokolle sowie den persönlichen Nachlass von Christmann analysieren und mit bekannten Fakten in Verbindung bringen. Zu Beginn des Buches verdichten sich trotz der nicht hinreichenden Faktenlage die Hinweise darauf, dass es wahrscheinlich persönliche, in Kindheit und Jugend geformte Beweggründe waren, die Richard Christmann dazu veranlassten, ein Doppelagentenleben für den deutschen und gegen den französischen Geheimdienst zu führen. Den übergroßen Teil des Buches nehmen allerdings Rekonstruktionen der politischen Lage, nationaler Interessen und personeller Verstrickungen ein, durch die es möglich wird, das Ausmaß der westdeutschen Aktivitäten vor allem in den französischen Kolonien herauszustellen: Obgleich offiziell eine deutsch-französische Versöhnungspolitik proklamiert wurde, ist es nach neuer Dokumentenlage evident, dass und wie Christmann als BND-Resident in Tunis die algerische Befreiungsbewegung FLN unterstützte und große Sympathien für die anti-französische Bewegung hegte. Es handelt sich um ein gut recherchiertes und spannend geschriebenes Buch – die erstmalige Veröffentlichung geheimdienstlicher Verbindungen rückt nicht nur historische Ansichten gerade, sondern hält auch politischen Sprengstoff bereit.
Ines Weber (IW)
M. A., Politikwissenschaftlerin (Kommunikationswissenschaftlerin, Psychologin), wiss. Mitarbeiterin, Institut für Sozialwissenschaften, Christian-Albrechts-Universität Kiel.
Rubrizierung: 2.313 | 2.3 | 2.324 | 4.21 Empfohlene Zitierweise: Ines Weber, Rezension zu: Matthias Ritzi / Erich Schmidt-Eenboom: Im Schatten des Dritten Reiches. Berlin: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/34194-im-schatten-des-dritten-reiches_41024, veröffentlicht am 15.03.2012. Buch-Nr.: 41024 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken