Rechtswiss. Diss. – Seit dem Weltgipfel von Rio de Janeiro im Jahr 1992 gilt das Konzept nachhaltiger Entwicklung neben Rechtsstaatlichkeit und Demokratie als eines der wichtigsten normativen Leitprinzipien guter Regierungsführung. Im juristischen Diskurs allerdings wird das Nachhaltigkeitskonzept überwiegend vernachlässigt und meistens als außerrechtliche, regulative Idee der Politikgestaltung gehandhabt. Die mangelnde Bestimmtheit und die inneren Widersprüche des Nachhaltigkeitsprinzips, so die gängige Argumentation, ließen es nicht zu, operable Rechtsprinzipien abzuleiten, weswegen der Nachhaltigkeit nicht die Qualität einer Rechtsnorm zuerkannt werden könne. Gehne widerspricht dieser juristischen Mehrheitsmeinung. Ihre Untersuchung setzt in einem „‚vorrechtlichen‘ Raum“ an. Auf Grundlage der inhaltlichen Analyse der wichtigsten UN-Dokumente zum Begriff der Nachhaltigkeit und seiner möglichen „Qualität als Rechtsnorm“ legt die Autorin dar, inwieweit „das ursprünglich primär politische Leitbild der Nachhaltigen Entwicklung [...] rechtliche Bedeutung entfalten kann“ (5 f.). Die Zurückweisung des Nachhaltigkeitskonzepts als Rechtsnorm, so die Autorin, basiere auf einem verkürzten Verständnis des positivistischen Normbegriffs, nach dem nur „direkt subsumierbare Verhaltensimperative als Rechtsnormen gelten können“ (214) – eine Position, die von den positivistischen Rechtslehren Kelsens und Harts nicht gestützt werde. Demgegenüber zeigt Gehne, dass das von den Vereinten Nationen entwickelte Nachhaltigkeitskonzept sich an einen bestimmbaren Adressatenkreis wendet, überprüfbar ist und in einer Rechtsordnung Geltung beanspruchen kann. Es erfüllt somit alle entscheidenden Kriterien, um als Rechtserzeugungsnorm anerkannt zu werden.