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Helmut Kohl

Erinnerungen 1982-1990

München: Droemer 2005; 1.134 S.; geb., 29,90 €; ISBN 3-426-27320-9
Der zweite Band der Erinnerungen Kohls ist nochmals deutlich umfangreicher als der erste (siehe ZPol 4/04: 1.387 f.). Im Mittelpunkt steht die Zeit zwischen dem Beginn seiner Kanzlerschaft 1982 und der Wiedervereinigung 1990. Zu den Quellen Kohls gehören neben den Protokollen des Bundeskabinetts, der Bundestagfraktion oder diverser Parteigremien auch Protokolle von Treffen mit Staats- und Regierungschefs. Wichtige Basis bei der Abfassung der Erinnerungen waren ihm aber offensichtlich auch seine Reden zu verschiedenen Anlässen und Themen, aus denen Kohl teils wörtlich und länger zitiert. Der Schwerpunkt der Schilderung liegt auf der Außen-, Europa- und Deutschlandpolitik. Dabei ist es gar nicht so sehr das große „Finale“ der Wiedervereinigung, das im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. Die gedrängten Aussagen zu den Entwicklungen der Jahre 1989/90 aus den letzten Kapiteln der Erinnerungen erhalten ihre Brisanz durch ihre Einbettung in eine kontinuierliche Linie der Deutschlandpolitik der Jahre vor 1989. Kohl kann unter Verweis auf den Text seiner Regierungserklärungen und der „Berichte zur Lage der Nation im geteilten Deutschland“ eine beachtliche Kontinuitätslinie in seinen deutschlandpolitischen Grundsatzpositionen nachzeichnen. Die rhetorische „Offenhaltung“ der deutschen Frage ging dabei mit einem Pragmatismus in der operativen Politikgestaltung einher, der in erster Linie um menschliche Begegnungen und Verbesserungen der Situation bemüht war. Als Schlüsseldatum der Jahre von 1982 bis 1989 erweist sich im Rückblick auch der 10. September 1989. Mit dem Bremer Parteitag, in dessen Vorfeld Kohl heftig unter Kritik geraten war, und der überraschenden Öffnung der ungarischen Grenze schnitten sich die außen- und innenpolitischen Linien seiner Kanzlerschaft auf bemerkenswerte Weise. Die Nachricht aus Ungarn gab dem Kanzler die Gelegenheit zur Offensive und drängte seine innerparteilichen Gegner in die Defensive. Symptomatisch für die gesamten Erinnerungen ist Kohls Urteil: „Während ich versuchte, auf die weltpolitischen Veränderungen Einfluss zu nehmen und sie mitzugestalten, planten vermeintliche Gefährten meinen Sturz als Parteivorsitzender und Bundeskanzler.“ (13) Besonders deutlich äußert sich Kohl in diesem Kontext auch zu Richard von Weizsäcker, den er schon im ersten Band seiner Erinnerungen als Profiteur des „System[s] Kohl“ dargestellt hatte. Mit Blick auf Weizsäckers Rolle im Vorfeld des Bremer Parteitages schreibt Kohl: „[A]m wärmenden offenen Kamin im Bundespräsidialamt war er Ratgeber für diejenigen, denen es um meinen Sturz ging.“ (929) Immer wieder taucht (mit einigen Dissonanzen) François Mitterrand als wichtiger Partner auf. Die eindringlich beschriebene Geste gemeinsamen Gedenkens an den Gräbern in Verdun findet jedoch keine Wiederholung im kontroversen Bitburg-Besuch Ronald Reagans, einem weiteren wichtigen Partner. In der Zuordnung von Sympathie und Antipathie hält sich Kohl kaum zurück: Johannes Rau wirft er „Charakterlosigkeit“ (437) im Umgang mit Ost-Berlin vor, die seine Eignung als Bundespräsident hätte in Frage stellen sollen. Selbstkritik ist dagegen (bei einer Autobiografie nicht verwunderlich) eher selten anzutreffen. Die Etikettierung des Goebbels-Gorbatschow-„Vergleichs“ im Oktober 1986 als „dumm“ (451) mag insofern eine Ausnahme sein.
Manuel Fröhlich (MF)
Prof. Dr., Juniorprofessur für Politikwissenschaft, Universität Jena (www.manuel-froehlich.de).
Rubrizierung: 2.3 | 2.313 | 2.315 | 4.21 Empfohlene Zitierweise: Manuel Fröhlich, Rezension zu: Helmut Kohl: Erinnerungen 1982-1990 München: 2005, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/24778-erinnerungen-1982-1990_28642, veröffentlicht am 25.06.2007. Buch-Nr.: 28642 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken