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Gerd König

Fiasko eines Bruderbundes. Erinnerungen des letzten DDR-Botschafters in Moskau. Hrsg. von Karl-Heinz Fehlberg und Manfred Schünemann

Berlin: edition ost 2011; 464 S.; 16,95 €; ISBN 978-3-360-01830-4
„Die Ignoranz Honeckers, seine Neigung, vorhandene Konflikte und Widersprüche zu bagatellisieren, verursachten bei mir regelrechte körperliche Schmerzen.“ (317) Der 2009 verstorbene Gerd König, von 1987 bis zum Ende der DDR Botschafter in Moskau, hätte sich einen anderen Umgang seiner Parteigenossen mit den Herausforderungen durch Perestroika und Glasnost gewünscht. In seinen (unvollendeten) Erinnerungen, die von den Herausgebern redaktionell überarbeitet wurden, ist nachzulesen, wie sich die DDR gegen den sich seit dem Amtsantritt Gorbatschows ankündigenden Umbruch stemmte und damit die Gelegenheit verpasste, die Entwicklungen wenigstens versuchsweise mitzugestalten. König, der selbst loyal und überzeugt zur DDR stand, beschreibt, wie die SED-Führung neue Formulierungen wie „Freiheit der Wahl“ bewusst missverstand und zur Abschottung von der Reformpolitik nutzte. Auch die wahre Bedeutung der Aufgabe der Breshnev-Doktrin, die dann eben nicht in einer Stärkung der sozialistischen Verbrüderung lag, sondern der Auflösung des Ostblocks den Weg ebnete, wurde nicht erkannt. – König selbst macht keinen Hehl aus seiner Enttäuschung darüber, dass sich die UdSSR damit „faktisch aus ihrer Verantwortung als Führungsmacht“ (70) stahl. Interessant an diesen Erinnerungen sind aber weniger diese mittlerweile nostalgisch anmutenden Auffassungen (und immer noch lächerlichen Schreibweisen wie „Westberlin“), sondern die Schilderungen des fein gewobenen Gespinstes an Kontakten und Informationen, über die König in seiner Funktion als Botschafter verfügte oder von denen er hörte – sowie die Leerstellen, denn ebenso aufschlussreich ist, wer nicht mit wem sprach. Und so bleibt König die nachträgliche Enttäuschung darüber, dass die sowjetische Seite ihre frühen Zweifel über die Zukunft der DDR nicht mitteilte und wegweisende Szenarien etwa der Wissenschaftler und Politikberater Wjatscheslaw Daschitschew und Oleg Bogomolow – die Gorbatschows spätere Zustimmung zur deutschen Einheit befördert haben dürften – verborgen blieben. Überhaupt war König trotz seiner herausragenden Position als ZK-Mitglied und Botschafter, sehr zum eigenen Ärger, nicht immer in alles eingeweiht. Insgesamt bietet König mit seinen Erinnerungen, in der dankenswerterweise die schlimmsten ideologischen Worthülsen vermieden werden, eine in sich schlüssige Binnenperspektive auf die letzten Jahre der DDR. Auffällig bleibt zugleich seine Uneinsichtigkeit in die Falschheit des gesamten Systems – darin unterschied sich König, trotz seiner Kritik, nur wenig von Honecker.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.314 | 2.62 | 4.22 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Gerd König: Fiasko eines Bruderbundes. Berlin: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/9703-fiasko-eines-bruderbundes_41133, veröffentlicht am 01.12.2011. Buch-Nr.: 41133 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken