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Matthias Fink

Srebrenica. Chronologie eines Völkermords oder: Was geschah mit Mirnes Osmanović

Hamburg: Hamburger Edition 2015; 977, 14 S.; 45,- €; ISBN 978-3-86854-291-2
Der Ort Srebrenica steht für den Völkermord an mehr als 8.000 bosnisch‑muslimischen Männern und Jugendlichen, dem die Weltgemeinschaft tatenlos zusah. Wie konnte es in der Mitte Europas zu einer solchen Kumulation von Hass und Vernichtung – zumal in einer Sicherheitszone der Vereinten Nation – kommen? Der Historiker Matthias Fink beschreibt in dem sehr gut recherchierten, umfangreichen und flüssig geschriebenen Buch die Ausgangssituation in Bosnien‑Herzegowina sehr detailliert, wo bereits zu Beginn des Bürgerkriegs massive Gewalt an der Zivilbevölkerung sowie deren Ermordung und Vertreibung nach ethnischen Gesichtspunkten auf der Tagesordnung standen. Das Massaker von Srebrenica stellt einen Höhepunkt dieser Entwicklung dar, deren Akteure – politisch wie militärisch – sich nach drei Jahren Krieg radikalisiert hatten. Die massenhafte Ermordung von Menschen stellte nunmehr eine „Säuberung“ und die „Lösung“ eines Problems dar. Menschenrechte für den Feind konnte es nicht geben, denn „im Raum Srebrenica waren nach dem 11. Juli 1995 die Rechtsprinzipien von Nürnberg und die Genfer Konventionen außer Kraft gesetzt“ (764). Der Autor stellt die sehr komplexe Konfliktlage gut verständlich und ausführlich dar. Er zeichnet hierbei die furchtbare Spirale der Gewalt nach, die eine kaum zu kontrollierende Dynamik entwickelte, in der das Töten der jeweils anderen zum Gebot wurde. „In Bosnien‑Herzegowina der Jahre 1992 bis 1995 war das Töten der ‚Anderen‘ erlaubt, denn diese gehörten nicht mehr in die Gruppe des ‚Wir‘. Die Regierenden hatten das Töten sogar zur Pflicht im Überlebenskampf erhoben.“ (774) Deutlich wird bei der Lektüre das massenhafte Versagen der Vereinten Nationen, der NATO und der Westmächte, die dem Massaker ebenso wie die bosnische Regierung tatenlos zusahen. Am Schluss steht ein Frieden, der bis heute brüchig ist. „Es war gekommen wie immer in der Geschichte dieses Raumes, der für gut 70 Jahre den Namen Jugoslawien getragen hatte: Nicht die Interessen, Lebensbedingungen und Bedürfnisse der einheimischen Bevölkerung waren bestimmend, sondern die Interessen und Machtkämpfe fremder Staaten, die um Einflusssphären rangen“ (899). Das Buch ist aufgrund seiner differenzierten und sehr detaillierten Darstellung uneingeschränkt zu empfehlen.
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Rubrizierung: 4.412.612.254.3 Empfohlene Zitierweise: Fabrice Gireaud, Rezension zu: Matthias Fink: Srebrenica. Hamburg: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39032-srebrenica_47589, veröffentlicht am 29.10.2015. Buch-Nr.: 47589 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken