Soziolog. Diss. Bielefeld; Begutachtung: M. Albert, A. Belyy. – Die Europäische Union ist nicht in der Lage, ihren eigenen Energiebedarf zu decken. Sie hängt von Öl‑ und Gaslieferungen aus dem Ausland ab. Die Energiesicherheit spielt für die EU deshalb nicht erst seit dem Ukraine‑Konflikt und den neuen Spannungen im Verhältnis mit Russland eine große Rolle. Schon die Ölkrise 1973 machte die essenzielle Bedeutung von Energiesicherheit für Gesellschaft und Wirtschaft überdeutlich. Sezer Özcan untersucht die Versicherheitlichung europäischer Energiepolitiken zu Zeiten der Energiekrise in den 1970er‑ und in den 2000er‑Jahren. Er vergleicht beide Zeiträume hinsichtlich der Bedeutung von Versicherheitlichung in der politischen Debatte, wobei er sich methodisch und theoretisch vor allem auf die sogenannte Kopenhagener Schule bezieht. Dabei handelt es sich um eine Ausrichtung des sprachwissenschaftlichen Strukturalismus, die sich mit dem Beziehungssystem innerhalb der Sprache auf einer hohen Abstraktionsstufe beschäftigt. Mit Versicherheitlichung wird innerhalb dieser Theorierichtung die soziale Konstruktion von Sicherheitsproblemen bezeichnet, also die Frage, wie Themen zu Sicherheitsthemen gedeutet werden. Der Autor stellt fest, dass die Energie in der Wahrnehmung von einem Handelsgut zu einem sicherheitsrelevanten Thema gewandelt wurde. Durch die Versicherheitlichung sei das Energiethema auf der internationalen politischen Agenda weit nach oben gerückt und erfahre deutlich mehr Aufmerksamkeit. Mögliche Probleme bei der Energieversorgung würden so von politischen Akteuren sehr wahrscheinlich mit einer hohen Priorität bearbeitet, da sie als existenziell wahrgenommen würden. Özcan empfiehlt der EU schließlich eine neue energiepolitische Strategie zu entwickeln, um unabhängiger von Zulieferländern zu werden, in denen auch zukünftig instabile politische Zustände erwartet werden müssten.