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Marcus Otto

Der Wille zum Subjekt. Zur Genealogie politischer Inklusion in Frankreich (16.-20. Jahrhundert)

Bielefeld: transcript Verlag 2013 (Sozialtheorie); 368 S.; 35,99 €; ISBN 978-3-8376-2639-1
Geschichtswiss. Diss. Bielefeld. – Wo liegen die sozialen Gründe für das Entstehen der Vorstellung eines individuellen politischen Subjekts? Welche Funktionen erfüllt Individualität in der sich differenzierenden Gesellschaft? Marcus Otto diskutiert diese Fragen am Beispiel des historischen Frankreichs über eine Aneignung der Systemtheorie. Sein genealogisches Vorgehen als „Wiederbeschreibung performativer Selbstbeschreibungen“ (15) leistet dabei zweierlei: einerseits eine theoriegeleitete und methodisch kontrollierte Dekonstruktion klassischer Subjektmodelle. Diese kann einen wichtigen Beitrag zu verschiedenen aktuellen polittheoretischen Debatten leisten, sei es etwa zur Ideologiekritik im Anschluss an Althusser (Subjekt als Oberfläche für ideologische Verblendung) oder zur postkolonialen und feministischen Exklusionskritik (Subjekt als Rechtfertigungsfigur für rassistische und sexistische Ökonomien). Andererseits will Otto der Systemtheorie selbst ihre eurozentrischen, komplexitätsreduzierenden und funktionalistischen Engführungen abgewöhnen – ein wichtiger erster Schritt, der den mittlerweile tatsächlich stilbildenden Graben zwischen systemtheoretischen und marxistischen Subjekttheorien überwinden helfen könnte. Könnte, weil der Autor sich diese Gelegenheit im Verlauf seiner empirisch höchst anspruchsvollen Studie doch entgehen lässt. Der pointierte Ansatz, „Inklusion als Einheit der Unterscheidung Inklusion/Exklusion“ (24) zu begreifen, also weder als Nebenfolge noch als historischen Unfall der Differenzierung, legt unmittelbar nahe, den Willen zum Subjekt jenseits der Subjekte selbst zu suchen – und tatsächlich zeigt die Genealogie des französischen Diskurses im ausgehenden Mittelalter, dass das Subjekt es möglich machte, die stratifikatorische Hierarchie zwischen Adel und Drittem Stand in die Moderne hinüber zu retten, just als national‑segmentäre und bürgerlich‑funktionale Vergesellschaftungsformen drohen, alte Hierarchiebeziehungen aufzulösen: So „verweist der Begriff der Loyalität bereits darauf, inwiefern solche [stratifikatorische] Inklusionsstrukturen […] zunächst unter Kontingenzdruck geraten“. Die Lösung, dass also der Adel als „Modell par excellence für kommunikative Selbstreferenz“ (105) sich letztlich performativ „im Geiste der tautologischen Gleichung: adelig = gut“ (106) behaupten kann und dabei die Figur des Individuums notwendig auf ein „neuartiges absolutes Subjekt“, dem „corpus mysticum“ (111) des Monarchen, zusammenschrumpft, ist damit noch einmal systemtheoretisch nachvollzogen – über die Sinnhaftigkeit oder ‑losigkeit jenes Willens zum Subjekt, das heißt jeder weiterhin an bürgerlicher Individualität orientierten politischen Intervention, ist dabei aber noch nichts gesagt.
Florian Geisler (FG)
B. A., Politikwissenschaftler, Student, Goethe Universität Frankfurt am Main.
Rubrizierung: 5.15.335.415.422.612.22.22 Empfohlene Zitierweise: Florian Geisler, Rezension zu: Marcus Otto: Der Wille zum Subjekt. Bielefeld: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37237-der-wille-zum-subjekt_45692, veröffentlicht am 26.06.2014. Buch-Nr.: 45692 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken