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Heinz Theisen

Nach der Überdehnung. Die Grenzen des Westens und die Koexistenz der Kulturen

Berlin: Lit 2012 (Politik & Kultur 11); 234 S.; 19,90 €; ISBN 978-3-643-11758-8
Die Selbstüberschätzung des Westens als einziger universeller Kultur, so Theisen, habe zu seiner geistigen wie auch politischen Überdehnung geführt. Der mittlerweile leere Signifikant Demokratie, die Omnipräsenz des Marktes, aber auch die Bundeswehr am Hindukusch und die US-Hegemonie ganz allgemein sind ihm Belege dafür, dass die nach dem Ende des Kalten Krieges entfesselte Dominanz westlicher Werte an „die Grenze des Möglichen“ (10) gestoßen ist. – Alles soweit plausibel, wäre da nicht ein Haken: Welcher Westen ist eigentlich gemeint, wenn es um ‚den’ Westen geht? Um es gleich vorweg zu nehmen – die Auflösung kommt nicht. Theisens Band krankt vielmehr ganz wesentlich an dem, was er an einer Stelle seiner Ausführungen ‚den’ Integrationsdebatten vorwirft: nämlich an „mangelnder Unterscheidung“ (89). Nicht nur, dass in dem Band wahlweise von der Demokratie, dem Islam, dem Islamismus, den Muslimen und – wie bereits erwähnt – dem Westen gesprochen wird und das auch noch in einem atemberaubenden, temporeichen Wechsel. Theisen versäumt es auch, seine Begriffe so hinreichend zu schärfen, dass seine wohl theoriegeleiteten Konzepte systematisch mit empirischen Befunden kombinierbar würden. Und so steht am Ende der Eindruck, dass die politikwissenschaftliche Analyse hier reichlich kurz, die Auflistung von Befindlichkeiten von eher anekdotischer Evidenz aber umso umfänglicher zu Worte kommt. Auch das wäre noch nicht so überaus problematisch, wenn Theisen am Ende seines Bandes nicht doch noch enthüllen würde, worin sein eigentliches Anliegen besteht. So schlussfolgert er aus dem von ihm – und anderen – diagnostizierten Aufeinandertreffen unterschiedlicher Universalismen (mal wieder: der Westen, der Islam) auf die Notwendigkeit einer Weltordnung, gegründet auf der „Erziehung zu Ordnung und Disziplin“ (232). „Wir können uns eine Vorherrschaft des Westens [...] zwar noch wünschen“, so lautet dann der erste Satz des letzten Absatzes des Buches, „sie aber nicht mehr durchsetzen“ (234). Der letzte Teil des Satzes ist aufrichtige Enttäuschung, der erste Teil klammheimliche Hoffnung. Und das Ganze: Populismus?
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.2 | 2.23 | 2.35 | 3.1 | 4.41 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Heinz Theisen: Nach der Überdehnung. Berlin: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35491-nach-der-ueberdehnung_42803, veröffentlicht am 15.11.2012. Buch-Nr.: 42803 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken