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Mussie Habte

Nationenbildung in einem multiethnischen Staat. Beitrag von Bildung und Schulbüchern im nationalen Integrationsprozess Eritreas

Berlin: Lit 2012 (Demokratie und Entwicklung 62); XI, 638 S.; 54,90 €; ISBN 978-3-643-11315-3
Diss. Hamburg; Begutachtung: R. Tetzlaff, V. Matthies. – Bildung spielt in vielerlei Hinsicht eine Schlüsselrolle für die Entwicklung eines Landes: Sie gilt nicht nur als Patentrezept für sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg oder für politische Partizipation, sondern ist auch bei der Konstruktion eines nationalen Bewusstseins von zentraler Bedeutung. Wie wirkmächtig Bildung und Schulbücher für Prozesse der gesellschaftlichen Integration und Nationenbildung in der ethnisch, linguistisch und religiös heterogenen Gesellschaft Eritreas sind, zeigt diese Studie. Im Mittelpunkt steht die Frage nach dem Beitrag von Schulbüchern für die nationale Integration des jungen afrikanischen Staates, der nach einer wechselhaften kolonialen Vergangenheit und einem 30-jährigen Befreiungskrieg gegen Äthiopien im Jahr 1993 entstand. Die eigentliche Schulbuchanalyse wird in einen breit angelegten Untersuchungskontext eingebettet. Mussie Habte zeichnet zunächst die Entwicklung des Bildungssystems seit der Kolonialzeit nach und schildert sehr eindrücklich die koloniale Indoktrination durch Italien, die religiöse Segregation durch die Briten sowie die „Durchsetzung der chauvinistischen ‚Groß-Äthiopien-Ideologie’“ (165). Für die drei Kolonialmächte stellte Bildung „ein zentrales Herrschafts- und Machtinstrument dar, mit dessen Hilfe […sie] ihre Weltanschauung in ihre Vorherrschaft der eritreischen Gesellschaft zu verankern suchten.“ (168) Vor diesem Hintergrund untersucht Habte dann, wie die eritreische Befreiungsbewegung EPLF ein Bildungssystem aufzubauen versuchte, das auf die Politisierung und Mobilisierung der Bevölkerung sowie auf die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung zielte. Habte resümiert, dass „Bildung ein fester Bestandteil des Kampfes um nationale Selbstbestimmung war“ (310) und die eritreischen Schulbücher vor diesem Hintergrund konzipiert wurden und damit „von Anfang an an politische Zielsetzungen gekoppelt waren“ (581). Nach der Unabhängigkeit verfolgte Eritrea eine widersprüchliche Politik, die einerseits die „Etablierung von Graswurzeldemokratie“ (333) vorsah, andererseits die Kompetenzen und Machtbefugnisse der Regierung nicht antastete. Für die Zeit nach dem äthiopisch-eritreischen Krieg von 1998 bis 2000 stellt Habte eine zunehmende Autokratisierung und Militarisierung der Bildungspolitik fest, die „zu einem Entfremdungsprozess zwischen der Bevölkerung und der Regierung geführt“ (592) und den weit verbreiteten Bildungsenthusiasmus „nachhaltig beschädigt“ (593) habe sowie den Nationenbildungsprozess gefährde.
Anke Rösener (AR)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.67 | 2.23 | 2.263 Empfohlene Zitierweise: Anke Rösener, Rezension zu: Mussie Habte: Nationenbildung in einem multiethnischen Staat. Berlin: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35374-nationenbildung-in-einem-multiethnischen-staat_42628, veröffentlicht am 10.01.2013. Buch-Nr.: 42628 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken