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Harald Lemke

Politik des Essens. Wovon die Welt von morgen lebt

Bielefeld: transcript Verlag 2012 (xtexte); 335 S.; kart., 27,80 €; ISBN 978-3-8376-1845-7
Große sozialphilosophische Entwürfe als Alternative zur bestehenden kapitalistisch‑orientierten westlichen Gesellschaft sind selten geworden. Harald Lemke unternimmt jedoch solch einen Versuch, indem er einen Vorschlag vorstellt, wie eine Gesellschaft in Zukunft verfasst sein müsste, um die gegenwärtigen politischen, ökonomischen, sozialen und ökologischen Probleme auf einmal zu lösen. Dieser auf den ersten Blick verwegene Ansatz setzt an einem ungewöhnlichen und daher interessanten Punkt an: Lemke lässt seine soziale Revolution bei dem existenziellen Bedürfnis des Essens beginnen, was den Vorzug hat, dass er ganz konkrete, für alle nachvollziehbare Veränderungsvorschläge für das Alltagsleben machen kann, sodass man sich als Leser ständig betroffen fühlt. Zentraler Aspekt des Buches ist das Ziel der „Ernährungssouveränität“ (114), das als „kosmopolitisches Menschenrecht“ (118) zu verstehen ist und vier Grundsätze umfasst: Dazu zählt erstens ein freier Zugang zu Land und ein „Recht auf Eigentum, das Produkt der eigenen Arbeit ist“ (119). Von der Neuverteilung der Eigentumsverhältnisse verspricht sich Lemke ein Ende der Armut und des Hungerns auf der Welt. Der zweite Grundsatz fordert eine ethische Fundierung der politischen Ökonomie, die sich dem Gedanken eines „Wohlstandes für alle“ (127) verschreibt. Mit Amartya Sen soll zudem das Recht auf Land „als das Recht auf Freiheit aller Menschen, dasjenige Leben zu führen, das sie erstrebenswert finden und das ebenso gut für sie wie für alle anderen ist“ (127), gedacht werden. Das dritte Prinzip besteht in der Forderung nach einer Preisgerechtigkeit, wobei ein gerechter Preis alle entstehenden Kosten einer Ware abbilden soll, also beispielsweise auch die indirekten Kosten für die Folgen für die menschliche Gesundheit oder auch für die natürlichen Ressourcen. Schließlich tritt Lemke für eine Regionalisierung der Landwirtschaft ein, entstehen soll eine „Deglobalisierung“ (136) mit lokaler Grundversorgung, sodass sich der globale Außenhandel auf wenige spezielle Güter in Verbindung mit einem fairen Handel beschränkt. Neben einigen institutionellen Umsetzungsvorschlägen auf globaler Ebene setzt Lemke zur Umsetzung seines Vorschlages einer Gastrosophie auf eine Politik von unten. Dazu gehört der alltägliche Kaufakt im Supermarkt, bei dem die Kunden sich für Fair Trade‑ und Bioprodukte entscheiden sollten, genauso wie das urbane Gärtnern, bei dem man sich mit anderen in der Stadt zusammenschließt, um in demokratischer Selbstorganisation seine eigenen Lebensmittel anzubauen. Dies sind nur einige Ideen, die trotz der vielen offenen Fragen zum Nachdenken anregen.
Jan Achim Richter (JAR)
Dipl.-Politologe, Doktorand, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 4.45 | 5.42 | 4.43 | 2.22 Empfohlene Zitierweise: Jan Achim Richter, Rezension zu: Harald Lemke: Politik des Essens. Bielefeld: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/34778-politik-des-essens_41805, veröffentlicht am 28.02.2013. Buch-Nr.: 41805 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken