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Jan Patočka

Ketzerische Essays zur Philosophie der Geschichte. Neu übersetzt von Sandra Lehmann

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2010 (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1854); 240 S.; 12,- €; ISBN 978-3-518-29454-3
Patočka gilt als der bedeutendste tschechische Philosoph der 20. Jahrhunderts. Den politischen Wirren dieser „Epoche der Nacht, des Krieges und des Todes“ (142) – wie er sie beschreibt und der er einen Teil seiner geschichtsphilosophischen Analysen widmet – ist es wohl auch geschuldet, dass der Schüler Husserls und Heideggers außerhalb seiner Heimat nur noch wenig bekannt ist, konnte er doch nach seiner Habilitation 1936 bis zu seinem Tod 1977 nur wenige Jahre an Universitäten wirken: Erst verboten ihm die Nationalsozialisten die Lehre, dann die Kommunisten, in deren Polizeigewahrsam er, der einer der Sprecher der Charta 77 war, starb. Ausgangspunkt seines Spätwerks ist die Frage nach dem Sinn. Ähnlich Husserls Krisis-Schrift diagnostiziert er eine Sinnkrise der mathematisch-naturwissenschaftlichen Weltsicht im 19. Jahrhundert. Einen Ausweg sieht er in der „natürlichen Welt“ (23) bzw. im Lebensweltkonzept, das er mit Heideggers ontologischer Differenz verknüpft und damit dynamisiert und historisiert. Entwickelt wird daraus ein Verständnis von Geschichtlichkeit, das auf die Sinn- und Seinsoffenheit des Menschen sowie seines Bewusstseins davon abstellt. Geschichte im eigentlichen Sinn beginne dort, wo der Sinnbezug des menschlichen Lebens fraglich werde und stehe in enger Beziehung zum Entstehen von Philosophie und Politik im antiken Griechenland. Während in den ersten drei Essays die Grundlagen dieser Theorie der Geschichte gelegt werden, fragt Patočka in den folgenden Abschnitten danach, wie politisch in der Geschichte Europas mit Sinn umgegangen wurde und welche Folgen dies zeitigte. Eingerahmt werden die Essays von Aufsätzen Ricoeurs und Derridas sowie von einem Nachwort Hans Rainer Sepps, die neben einer kritischen Würdigung Patočkas auch eine Deutung der Essays und eine Einordnung in sein Gesamtwerk bieten und so den Zugang zu seinem mitunter sperrigen Denken erleichtern.
Nikolai Münch (NM)
M. A., Politikwissenschaftler, Doktorand, Forschungszentrum Laboratorium Aufklärung, Universität Jena.
Rubrizierung: 5.42 | 4.1 Empfohlene Zitierweise: Nikolai Münch, Rezension zu: Jan Patočka: Ketzerische Essays zur Philosophie der Geschichte. Frankfurt a. M.: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/33329-ketzerische-essays-zur-philosophie-der-geschichte_39862, veröffentlicht am 19.01.2011. Buch-Nr.: 39862 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken