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Lukáš Novotný

Vergangenheitsdiskurse zwischen Deutschen und Tschechen. Untersuchung zur Perzeption der Geschichte nach 1945

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2009 (Extremismus und Demokratie 19); 269 S.; 39,- €; ISBN 978-3-8329-4248-9
Diss. Chemnitz; Gutachter: E. Jesse, B. Neuss. – Die Menschen im bayerisch-böhmischen Grenzgebiet wissen nur wenig übereinander und haben „einander eigentlich den Rücken zugewandt“ (244), lautet das Ergebnis dieser Studie. Aber gegenseitige Ignoranz ist nur eine Facette in den deutsch-tschechischen Beziehungen, die vom Autor bedauert wird. Eine weitere ist eine immer noch divergierende Sicht auf die Vertreibung der Sudetendeutschen. Der konkreten Untersuchung, wie auf deutscher und tschechischer Seite die gemeinsame Geschichte wahrgenommen wird, stellt der Autor eine Darstellung des konfliktreichen 20. Jahrhunderts voran. Erinnert wird daran, dass die böhmischen Deutschen die erste Republik trotz Demokratie und gesicherten Minderheitenrechten ablehnten. Weitere Kapitel sind dem Erstarken der Nationalsozialisten, der Konferenz in München und der Abtretung der sudetendeutschen Gebiete gewidmet, ferner dem Protektorat Böhmen und Mähren sowie der Vertreibung der Deutschen nach Kriegsende. Anschließend werden die deutsch-tschechischen Beziehungen während des Kalten Krieges erläutert. In diesem Zusammenhang erinnert der Autor auch an das Schicksal der deutschen Nicht-Vertriebenen, die oftmals gezwungen wurden, ins Landesinnere zu ziehen und ihre Sprache aufzugeben. Der Neubeginn der Beziehungen über die Grenze hinweg gestaltete sich nach 1989 schwierig. Bayerische Politiker forderten einen Ausgleich für die Vertriebenen als Bedingung für einen EU-Beitritt Tschechiens, die Vertriebenen entschuldigten sich gleichzeitig aber nur „lauwarm[..]“ (133) für die Zeit des Nationalsozialismus. In Interviews beiderseits der Grenze fragte der Autor nun nach den geschichtlichen Kenntnissen und der Wahrnehmung des Nachbarn. Vor allem in Bayern interessieren sich die Menschen nur für die eigene regionale Historie, so der Befund, in Tschechien schaut man dagegen eher nach Westen. Grenzübergreifende Kontakte seien selten, schreibt Novotný, der dann wenigstens noch eine Gemeinsamkeit finden konnte: „Beide [Seiten] lehnen mehrheitlich die Forderungen der Vertriebenen ab“ (241).
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.23 | 2.35 | 2.61 | 2.31 | 4.2 | 4.22 | 4.21 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Lukáš Novotný: Vergangenheitsdiskurse zwischen Deutschen und Tschechen. Baden-Baden: 2009, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/31235-vergangenheitsdiskurse-zwischen-deutschen-und-tschechen_37158, veröffentlicht am 08.12.2009. Buch-Nr.: 37158 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken